Wo die CDU für offene Grenzen ist

Wo die CDU für offene Grenzen ist

12. Februar 2023

Von Matthias Meisner

„Anderswelt“ nannte der Kölner Journalist Hans Demmel sein Buch über einen Selbstversuch mit rechten Medien, den er 2020, im ersten Corona-Jahr, startete. Bei diesem Experiment „informierte“ sich Demmel mehrere Monate lang ausschließlich aus Publikationen wie „Tichys Einblick“, „Compact“ und „Junge Freiheit“ oder auch bei Ken FM. Und der frühere Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen bekam eine der Hauptrollen. 2021 trat Maaßen gemeinsam mit Roland Tichy und Uwe Steimle bei TV Berlin auf. Friedrich Küppersbusch beschrieb den ehemaligen Verfassungsschutz-Chef im Nachwort des Demmel-Buches als „vielbeachtete Leitfigur“ in sogenannten „alternativen Medien“, wo er „szenetypische Haltungen und Begriffe wie ,Globalisten‘ und ,Neue Weltordnung‘ zitiert“.

Es sollte bei Maaßen, inzwischen fester Bestandteil einer Parallelmedienwelt und Türöffner zur radikalen Rechten, alles noch schlimmer kommen. Zwar setzte die Radikalisierung schon vor Jahren ein. 2018, noch als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, relativierte er Hass und Hetze bei den rechtsextremen Krawallen in Chemnitz.

Aber wer hätte gedacht, dass der ehemalige Bundestagskandidat Maaßen seine Noch-Partei CDU für eine „linke Partei“, gar für eine „sozialistische Partei“ hält, wie er es November 2022 in einem Interview mit der rechtskonservativen „Budapester Zeitung“ sagte? Berlin und Brüssel seien beherrscht von einer „linksextremen Woke-Ideologie“, erklärte er dem Blatt, das Ungarn für einen Hort der Pressefreiheit hält und laut dem in Deutschland „gleichgeschaltete“ Leitmedien operieren. Maaßen gefällt Orbáns Ungarn: Eine Reise dorthin sei für ihn eine „Reise in die Normalität“, in ein Land, „wo ich als weißer deutscher Mann nicht diskriminiert und diffamiert werde“, sagte er.

Es gibt klare Feindbilder: Angela Merkel, wenngleich nicht mehr Kanzlerin und auch nicht mehr Parteivorsitzende, steht nach wie vor an erster Stelle. Maaßen kämpft für die „Entmerkelisierung“ der CDU. Und sieht sich dabei vom neuen Vorsitzenden Friedrich Merz im Stich gelassen.

Nicht zuletzt gehört zu den erklärten Gegnern von Maaßen auch Mission Lifeline, jene humanitäre Organisation, die sich für Geflüchtete beispielsweise aus der Ukraine, Afghanistan oder Syrien einsetzt und auf deren Internetseite diese Kolumne erscheint. Das ist abzulesen zum Beispiel in den Dialogen des rechten Bloggers Alexander Wallasch mit Maaßen. Wöchentlich gibt es ein Maaßen-Interview in dem Blog. Der Ex-Geheimdienstchef beklagte im Januar, „unsere Spitzenpolitiker“ würden das deutsche Volk als „Kartoffeln“ und „Weißbrote“ ansehen, „die minderwertig sind und aussterben sollen“. Das Denken dieser „Politiker und Haltungsjournalisten“ sei „Ausdruck einer grün-roten Rassenlehre, nach der Weiße als minderwertige Rasse angesehen werden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse“. Es war das Interview, das die Diskussion über einen Parteiausschluss von Maaßen so richtig ins Rollen brachte.

Wallasch mag den Autor dieser Kolumne nicht und auch nicht die Organisation, auf deren Seite sie erscheint. Matthias Meisner würde „seit Jahrzehnten den immer selben linksradikal veranzten Gassenhauer“ singen, schrieb er im Dezember. Im Januar twitterte Wallasch über Meisner: „Der ehemalige Journalist, der jetzt Kolumnen für eine linksradikale Schlepperhilfe schreibt als Stasi“. Um dann gleich im nächsten Interview Maaßen in sein Boot zu holen: Was er dazu sage, dass deutsche Journalisten jetzt als Kolumnisten auf NGO-Webseiten auftauchen? Pflichtschuldig antwortet Maaßen: „Es sind Leute mit der gleichen ideologischen Einstellung. Es ist wie bei einer Sekte. Die einen finden sich im Journalismus wieder, die anderen in Parteien, die dritten bei so genannten NGOs. Und man muss sagen, da arbeiten diese Leute Hand in Hand. Um ihre ideologische Agenda gegen alle Widerstände durchzudrücken.“ Maaßen mittendrin in der Anderswelt, wie sie Parallelmedien zeichnen.

Maaßen misstraut der Politik, Maaßen misstraut den etablierten Zeitungen ebenso wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Maaßen krakelt mit Wutbürgern gegen die „da oben“. Er behauptet beispielsweise, es gebe „leitende Politikjournalisten in den Staatsmedien, die aus der gewaltbereiten Antifa-Szene kommen“. In seinen Worten sind das „Haltungsjournalisten“. Mit anderen Worten: An der Spitze des deutschen Inlandsgeheimdienstes stand sechs Jahre lang ein Verschwörungstheoretiker.

Selbst die „NZZ“ rügte Maaßen vor ein paar Tagen für ein „Geraune, wie man es von der AfD und ihr nahestehenden Online-Wüterichen kennt“. Der neue Vorsitzende der Unions-nahen „Werteunion“ habe sich „auf eine verstörende Weise radikalisiert“ und sich „mit seiner schrillen Rhetorik selbst ins Abseits manövriert“.

Andererseits kritisiert die Zeitung, der angedrohte Rauswurf Maaßens aus der Partei wirke „panisch“. Merz hätte mal besser mit Maaßen sprechen sollen. Das jetzige Vorgehen mit der Ansage „Das Maß ist voll“ dürfte dazu führen, dass der „Parteifreund“, der sich verrannt habe, seinen Weg „mit noch größerer Entschlossenheit“ fortsetzt.

Ist das so? Wird eine Radikalisierung noch befördert, wenn eine Partei, hier die CDU, klare Kante zeigt? Oder müssen im Fall Maaßen klare Grenzen gezogen werden? Die CDU hat selbst ein verunglücktes Beispiel, wie ein Parteiausschlussverfahren auch laufen kann. Es muss nur halbherzig genug betrieben werden. Der Maaßen-Vorgängerfall: die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Angelika Barbe, früher SPD, schon eine ganze Weile CDU-Mitglied, spätestens in der Corona-Pandemie falsch abgebogen. Im April 2020 sagte sie, das Virus habe „keine Todesfolgen“. Als Maaßen 2021 in Südthüringen für den Bundestag antrat, lobte sie den CDU-Kandidaten als „untadeligen Demokraten und Staatsschützer“. Der Berliner CDU, in der sie seit Jahren Mitglied ist, wurde es schließlich eine Woche vor der Bundestagswahl zu viel: Barbe hatte in Sachsen dazu aufgerufen, für die AfD zu stimmen, dies wäre im Vergleich zur Union „die deutlich bessere Wahl“.

Sollte es noch eine Abgrenzung gegeben haben, ist diese nun endgültig vorbei #Pegida und drei Landesverbände der #AfD rufen zur gemeinsamen Kundgebung in #Dresden am 24.02. auf. Als Redner wird auch die DDR-Bürgerrechtlerin Barbe angekündigt #dd2402 pic.twitter.com/9639n8W58t

— Eric Hofmann (@RPFDMOPO) February 7, 2023

Und trotzdem: Der Ausgang des damals angekündigten Parteiausschlussverfahrens gegen Barbe ist auch fast eineinhalb Jahre danach völlig offen. Barbe kokettierte 2021: „Ja, ich bin im verrotteten Berliner CDU-Landesverband.“ Im März 2022 sagte der Chef des zuständigen CDU-

Kreisverbandes Neukölln, Falko Liecke: „Selbstverständlich kann ich mich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern.“ Barbe berichtete damals, sie wisse nichts von konkreten Schritten und sei „gespannt“. Und: „Sie halten es möglicherweise unter dem Radar. Ich gehe nicht freiwillig.“ Einen Monat später unterstützte Barbe auf Facebook den Putin- freundlichen Russland-Kurs von AfD-Chef Tino Chrupalla: „Alles Gute, Herr Chrupalla – nicht nur persönlich, sondern auch für ihre politische Arbeit.“ Nun ist Barbe für den 24. Februar angekündigt als Rednerin beim „großen Dresdner Friedensspaziergang“ auf dem Theaterplatz, neben unter anderem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, Pegida-Anführer Lutz Bachmann und Österreichs Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Fragen zum Parteiausschlussverfahren gegen Barbe lässt die CDU weiterhin unbeantwortet.

Das verschleppte Parteiausschlussverfahren gegen Barbe hat offenbar nicht dazu geführt, dass eine Radikalisierung aufgehalten wird. Umso bemerkenswerter ist es, dass ausgerechnet Sachsens CDU-Landeschef Michael Kretschmer nun der Forderung der Berliner Parteiführung nach einem Parteiausschluss von Maaßen widersprach: „Ich bin nicht der Meinung, dass man Leute von heute auf morgen ausschließen muss“, sagte er Anfang Februar im Podcast der „Sächsischen Zeitung“. Es sei eine Schwierigkeit in einem Rechtsstaat, „eine Persönlichkeit auszuschließen“, gab er zu bedenken. Und: „Dadurch, dass er ausgeschlossen ist, ändert sich seine Meinung nicht. Und ich finde, miteinander einen Diskurs zu führen und deutlich zu machen ,Das ist nicht die Meinung der Union, dafür steht sie nicht‘ ist viel wertvoller.“

Aus Sicht des Ministerpräsidenten hat Maaßen 2018 mit seinen „Einlassungen in Chemnitz uns sehr geschadet“. Dass Kretschmer selbst 2018 den Rechten in die Hände gespielt hatte, erwähnte er nicht, und auch das ist eine Form der Geschichtsklitterung. In einer Regierungserklärung zu Chemnitz im Landtag hatte Kretschmer Anfang September 2018 gesagt: „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd und es gab keine Pogrome in dieser Stadt.“

Gibt es womöglich in der Sachsen-CDU eine Menge Fans von Maaßen, mit denen sich der Landesvorsitzende nicht anlegen will? „Ich kenne keine“, behauptet Kretschmer – obwohl doch beispielsweise Landtagspräsident Matthias Rößler im Bundestagswahlkampf Maaßen zu einem gemeinsamen Auftritt eingeladen hatte. Kretschmer sieht sich inhaltlich mit Maaßen nicht überein, aber für einen Rausschmiss ist er nicht. Auch so werden Grenzen in der CDU verschoben – nach rechts.

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