09. August 2023
Kolumne von Michael Bittner
Vor wenigen Wochen hörte man aus der Redaktion der sozialistischen Tageszeitung „ND“ den Hilferuf: „Die Lage ist dramatisch.“ Nur eine Rettungskampagne könne das vor einem Jahr als Genossenschaft neu organisierte Blatt vor dem Tod bewahren. Da hatte man gerade erst Anzeigen der linken Wochenzeitung „Jungle World“ gesehen, in denen diese bat, man möge ihr den „Arsch retten“. Und soeben ist es das queerfeministische „Missy Magazine“, das öffentlich bekennt, von der Pleite bedroht zu sein. Es scheint fast, als gäbe es gar kein linkes Medium mehr, das nicht am Abgrund stünde. Dass es in Deutschland eine Zeitungskrise gibt, ist keine Neuigkeit. Dazu kommen derzeit noch Rezession und Inflation. Linke Medien trifft all dies härter, verfügen sie doch nicht über reiche Werbekunden, Anteilseigner oder Gönner, die in Zeiten der Dürre Scheine regnen lassen könnten.
Was Rechte hämisch frohlocken lässt, müsste alle Menschen, die sich keine reaktionäre Hegemonie wünschen, viel stärker beschäftigen als bislang. Der Weg zur Macht im Staat führt über die öffentliche Meinung. Deshalb wird der Kampf um sie so erbittert geführt. Nie geht es dabei nur darum, wer welche Debatte für sich entscheidet. Stets wird auch um die Kontrolle über die Medien selbst gerungen. In der Menschenmenge nützen die besten Argumente nichts, wenn sie nicht durch einen Lautsprecher verbreitet werden. Wirkungsvoller als der Geist ist im Kampf um Reichweite leider das Geld. Jedem fällt wohl spontan der Investor Elon Musk ein, der sich mit seinen Fantastilliarden ein ganzes soziales Netzwerk kaufen konnte, um es jetzt auf rechts zu drehen. Aber auch in Deutschland finden sich Beispiele: Der Chef der Axel Springer AG gibt der Redaktion seiner „Bild“ Anweisung, die FDP zu stärken. Der Unternehmer Holger Friedrich kauft sich die „Berliner Zeitung“, um seine Privatspinnereien in die Welt zu posaunen. Rechte Propagandapostillen aus dem Umfeld der AfD werden von ominösen Schweizern und deutschen Wirtschaftslobbyisten subventioniert.
Es braucht aber nicht einmal den Willen einzelner Superreicher. Als Teil der kapitalistischen Wirtschaft kann sich deren Gesetzen auch die Medienbranche nicht entziehen. Zu ihnen gehört, dass Konformität belohnt und Widerstand bestraft wird. Es ist weitaus einträglicher, die Segnungen der freien Marktwirtschaft zu preisen, als ihre Schattenseiten ins Licht zu rücken oder sie gar radikal in Frage zu stellen. Das gilt leider inzwischen auch für das Internet, das längst keine Spielwiese für basisdemokratische Experimente mehr ist, sondern nurmehr ein Markt wie jeder andere auch und zudem ein Schlachtfeld von Großmachtinteressen.
Linke Medien haben schon immer vom Idealismus ihrer Produzenten und der Solidarität ihrer Sympathisanten gelebt. Diese beiden Güter konnten den Mangel an Kapital bis zu einem gewissen Grad ausgleichen, nun aber scheinen auch sie knapper zu werden. Das liegt wohl daran, dass die politische Linke derzeit insgesamt so zerstritten und mutlos ist. Außerdem stoßen Idealismus und Solidarität da an Grenzen, wo es, weil die Zeiten immer teurer werden, buchstäblich ums tägliche Brot geht. Die Behauptung der Konservativen, in der deutschen Öffentlichkeit rausche ein „linker Mainstream“, war schon immer lächerlich. Demnächst aber könnte es linken Journalismus nicht einmal mehr als Rinnsal geben. Das wäre fatal, weil es für viele Menschen ohne Geld und Stimme dann überhaupt keine Fürsprache mehr gäbe.
Was tun? Da der Kapitalismus wahrscheinlich nicht demnächst abgeschafft wird, sind vorerst Einzelne und Gemeinschaften gefragt. Es dürfen ruhig ein paar mehr Leute den Mut haben, aus ihrer Überzeugung die praktische Konsequenz eines Abonnements zu ziehen. Auch fortschrittliche Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften, Verbände und Vereine sollten sich überlegen, wie sie linkes Publizieren unterstützen könnten. Der Markt wird es nicht regeln. Mission Lifeline macht es vor und schafft mit den Kolumnen auf dieser Seite Platz für unterschiedliche, doch gleichermaßen hörenswerte Stimmen. Dafür sage ich an dieser Stelle einmal herzlichen Dank.
Foto: Amac Garbe