Putin darf nicht gewinnen

Putin darf nicht gewinnen

01. Mai 2022

Kolumne von Ruprecht Polenz

Vor 67 Tagen hat Putin die Ukraine überfallen. Seitdem führt Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen einen friedlichen Nachbarn, von dem keinerlei Bedrohung ausgeht. Die russische Armee zerbombt Mariupol, so wie zuvor Grozny oder Aleppo. Gezielte Angriffe gegen Wohnblocks, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten sollen, wie seinerzeit in Tschetschenien oder Syrien, jetzt auch den Widerstandswillen in der Ukraine brechen.

Was bei einer Kapitulation der Ukraine folgen würde, kann man in den von russischen Streitkräften eroberten Gebieten sehen: Vergewaltigungen, Folter, Plünderungen, grausame Kriegsverbrechen, gewaltsame Deportationen (auch von Kindern) irgendwohin nach Russland, Verschleppung in „Filtrationslager“ zur Aussonderung von „Nazis“ (als solche gelten alle Ukrainer:innen, die sich nicht dem „großen russischen Volk“ zugehörig fühlen).

Schon deshalb darf Putin nicht gewinnen.

Putin hat klar gesagt, dass es ihm nicht nur um die Ukraine geht. Er will eine neue Weltordnung, in der das Recht des Stärkeren gilt. In den Worten des griechischen Philosophen und Historikers Thukydides: die Starken tun, was sie können, und die Schwachen leiden, was sie müssen. So soll es jedenfalls in dem Gebiet zugehen, das Russland als sein „nahes Ausland“ ansieht. Deshalb will er Schweden und Finnland untersagen, der NATO beizutreten. Das sei eine Bedrohung für Russland, die nicht unbeantwortet bliebe, droht er.

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Es war die Sorge vor russischer Bedrohung, weshalb 1990 die baltischen Staaten, Polen, Tschechien oder Ungarn möglichst schnell in die NATO aufgenommen werden wollten. Jetzt sehen sich Schweden und Finnland durch den imperialen Revisionismus und Nationalismus von Russland bedroht. Deshalb möchten sie Mitglieder der NATO werden.

Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Sie bedroht Russland nicht, und Putin fürchtet sich auch nicht vor Panzern, die im Baltikum stationiert sind. Bedroht ist allerdings sein diktatorisches Herrschaftsmodell, seine mit unumschränkter Macht ausgestattete Alleinherrschaft. Dessen Repression wird durch Demokratie und Rechtsstaat systemisch bedroht. Diese Angst könnten wir Putin allerdings nur um den Preis der Selbstaufgabe nehmen.

Putin darf also auch deshalb in der Ukraine nicht gewinnen, weil er sonst weitermacht.

Der Untergang der Sowjetunion war für ihn bekanntlich „die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Diese „Schmach“ rückgängig zu machen, treibt ihn an. Es geht ihm um die Herrschaft über „russkij mir“ (deutsch: „russische Welt“). Der Begriff entstammt der imperialen Ideologie des 19. Jahrhunderts und hat sich im Laufe der Zeit von einer poetischen Metapher zu einem ideologischen Konzept entwickelt. Es eignet sich wegen seiner Unbestimmtheit hervorragend, imperiale Ansprüche Russlands überall dort geltend zu machen, wo früher einmal russische Zaren geherrscht haben, aber auch wo russisch gesprochen wird oder wo heute Russen leben.

Dass seit 1990 viele dieser Gebiete wie die Ukraine, die baltischen Staaten oder Belarus nicht zu Russland gehören, ist für Putin und die russischen Herrschaftsansprüche kein Hindernis. Das eigene imperiale Sendungsbewußtsein zählt, nicht das Völkerrecht.

Wie läßt sich verhindern, dass Putin in der Ukraine gewinnt, anschließend weitermacht und womöglich die ganze Welt in Brand steckt?

Die Ukraine verteidigt ihre Unabhängigkeit und Freiheit mutig und mit aller Kraft. Es ist Gebot eines wertebasierten Völkerrechts, dem Überfallenen gegen den Aggressor beizustehen.

Die USA und die NATO haben richtigerweise von Anfang an klargemacht, dass sie nicht mit eigenen Truppen in der Ukraine eingreifen werden. Mit einem 3. Weltkrieg wäre auch der Ukraine nicht gedient.

Aber Waffenlieferungen machen ein Land völkerrechtlich nicht zur Kriegspartei. Sie sind notwendig, damit sich die Ukraine gegen die russische Armee verteidigen kann. Nahezu alle Mitgliedsländer der EU, Großbritannien, die USA und Kanada unterstützen die Ukraine mit Waffen. Nach anfänglichem Zögern ist auch Deutschland dabei. Letzte Woche hat der Bundestag die Regierung aufgefordert, der Ukraine auch schwere Waffen zur Verfügung zu stellen. Mit breiter Mehrheit aus SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU hat die demokratische Mitte des Parlaments diesem Antrag zugestimmt.

Auch die scharfen Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen Russland sollen verhindern, dass Putin in der Ukraine gewinnt. Sie werden ihm allerdings erst mittel- und längerfristig die wirtschaftliche Basis für seinen Angriffskrieg entziehen.

Eine kurzfristigere Wirkung könnte von einem Energieembargo ausgehen, denn der russische Staat ist in hohem Maß von den Einnahmen abhängig, die er mit dem Export von Kohle, Öl und Gas erzielt. Es besteht Einigkeit in der EU, dass man so schnell wie möglich keine Energie mehr aus Russland importieren möchte. Allerdings läßt sich vor allem beim Gas nicht so schnell Ersatz finden. Vor allem Deutschland steht hier vor einer großen Herausforderung, denn es bezieht bisher über 50 Prozent seines Erdgases aus Russland.

Deshalb wären mit einem sofortigen Gasembargo schwerwiegende negative Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft zu erwarten. Noch schlimmer dürfte es allerdings kommen, falls Putin in der Ukraine gewinnen sollte. Noch schlimmer für die Wirtschaft und für uns alle.

Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP

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