Nach Laschet die Sintflut  

Nach Laschet die Sintflut

27. Juli 2021

Kolumne von Özge

Versagen, Fahrlässigkeit, Unfähigkeit – so etwa lautet der Tenor der Vorwürfe, die derzeit die Union und im Speziellen ihren Kanzlerkandidaten treffen. Die Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland ist so gut wie vorbei, sie hat extreme Verwüstung hinterlassen, fast eintausend Menschen verletzt und über 150 Todesopfer gefordert. Laschet indes scheint von einem Fettnäpfchen ins Nächste zu taumeln. Nun wurde Anfang letzter Woche bekannt, dass das europäische Flutwarnsystem EFAS in den Tagen vor der Überschwemmung 25 Warnungen an die deutschen Behörden versendete – und diese aus bislang ungeklärten Gründen die Übermittlung an die Bevölkerung versäumten.

Hier allerdings beginnt und endet die Reihe der Ereignisse, die sich durch reines Versagen erklären lassen. In der Gesamtschau war das, was Mitte Juli passierte, eine Katastrophe mit langer Ansage.
Verfehlte Klimaschutzpolitik ist, wie immer, die unangefochtene Nummer eins auf der Vermeidbarkeitsliste. Sie geht bei weitem nicht allein auf Laschets Konto. Als wissenschaftliche Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und Extremwetterereignissen wie Starkregen vor knapp zwanzig Jahren erstmals die Runde machten, hieß der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück. Die nötigen radikalen Maßnahmen blieben bekanntermaßen aus, aber immerhin war es seine Regierung, die 2004 eine Stabsstelle für die Bekämpfung von Umweltkriminalität am Landesumweltministerium einrichtete.

Dreizehn Jahre später nimmt die neue Landesumweltministerin Christina Schulze Föcking, CDU, ihre Arbeit auf. Ihre Nebentätigkeit: ein Schweinemastbetrieb. Aktivistinnen der Tierschutzorganisation ARIWA decken einen Monat nach ihrem Amtsantritt katastrophale Haltungsbedingungen und Hygienemängel auf, die Tiere leiden an Atemwegserkrankungen, Durchfall, Bisswunden. Die Stabsstelle Umweltkriminalität legt eine Akte zu dem Fall an – und wird ein knappes Jahr später durch die Ministerin aufgelöst. Ein Zusammenhang wird vehement bestritten, man habe die Stabsstelle wegen Ineffizienz und mangelnder Effektivität geschlossen. Das Umweltbundesamt veröffentlicht 2019 einen Lagebericht zur Umweltstrafverfolgung. Die umweltrechtliche Expertengruppe kommt darin zu dem Schluss, dass es sich bei der Stabsstelle um ein gut funktionierendes Vollzugsbeispiel gehandelt hat, das es idealerweise in jedem Bundesland geben sollte – und bestreitet damit indirekt die Darstellung der Ministerin. Im Jahr darauf kommt eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in einem Gutachten zu dem wenig überraschenden Schluss, die Bekämpfung von Umweltkriminalität werde in der Tätigkeit des Landesumweltministeriums seit der Auflösung der Stabsstelle massiv vernachlässigt.

Und was passiert, wenn die Umweltstrafverfolgung vernachlässigt wird, kann man sich beispielsweise anhand des Shell-Skandals vergegenwärtigen. Damals floss knapp eine halbe Million Liter Öl ins Grundwasser, weil die zuständige Kölner Aufsichtsbehörde offenbar zwei Jahre lang geschlafen hat. Jahre, in denen man eine Koordinierungsstelle für die Ermittlungen gut hätte gebrauchen können.

Ungefähr zeitgleich ereignet sich ebenfalls in Nordrhein-Westfalen ein Musterfall erfolgreicher Lobbyarbeit. Unter dem Eindruck der Zerstörungen durch Xaver beginnt der Verband der deutschen Versicherungswirtschaft Mitte 2017, verstärkt auf die mit dem Klimawandel zunehmende Hochwassergefahr und damit verbundene Kosten aufmerksam zu machen. Bereits 2011 hatte die Lobbyorganisation hierzu eine Studie veröffentlicht, die nun wieder in Umlauf gebracht wird. Bis dahin gab es nach jeder Überschwemmung ein einmaliges Finanzhilfeverfahren. Die Versicherer wollen Planungssicherheit und pochen auf eine einheitliche Regelung. Und die Landesregierung liefert. In der wenige Monate später erlassenen Soforthilferichtlinie findet sich eine Klausel, die besagt, dass ein Geschädigter keine finanzielle Hilfe bekommt, wenn er sich auch selbst hätte versichern können. Katastrophenschutz wird damit zur Privatsache – und die Versicherungen können sich an die Quartalsprognosen machen.

Die Beispiele zeigen: es wurde Millimeterarbeit geleistet im Kabinett Laschet. Man wusste sehr genau um die konkrete Überschwemmungsgefahr. Das zeigt die Soforthilferichtlinie, die zwar hilft, aber in erster Linie ein Win-Win für Staatskasse und Versicherungswirtschaft ist. Parallel dazu der Abbau umweltrechtlicher Strukturen, der den Klimaverbrechern Tür und Tor öffnet – aus Gründen, über die sich ohne viel spekulative Vorstellungskraft sagen lässt, dass sie eigennützig waren. Wir können den Leuten nicht in den Kopf gucken. Aber es gibt einen Punkt, an dem die Nachlässigkeit so grob, die Versäumnisse so zahlreich werden, dass es unsererseits fahrlässig wäre, die zugrundeliegende politische Agenda zu ignorieren.

Es wäre eine maßlose Untertreibung, zu sagen, es sei Zeit, diese Menschen abzuwählen. Denn diese Zeit ist schon vor Jahrzehnten verstrichen. Zu verstehen, wie sie konkret arbeiten, statt es sich leicht zu machen und mit Unfähigkeit zu argumentieren, sollte an diesem Punkt das Mindeste sein.

Foto: Timo Schlüter

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