07. November 2023
Kolumne von Michael Bittner
Dieses Buch hat den Segen und Lob von ganz oben bekommen: Björn Höcke, der gar nicht mehr so heimliche Führer der AfD, verkündete öffentlich, Martin Sellners „Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze“ sei „ein großer Wurf“ und könne als „Handbuch für die deutsche Volksopposition“ dienen. Man ist verführt, das Buch nun so zu lesen, als würde es die Pläne der radikalen Rechten unverstellt offenbaren. Doch das wäre naiv. Das Buch verfolgt auch noch andere Zwecke. Zum einen dient es dem Autor dazu, sich in der rechten Bewegung wieder einige Reihen nach vorn zu drängeln. Den ehemaligen Sprecher der „Identitären Bewegung Österreichs“ hat man zuletzt nicht mehr allzu laut vernommen, nachdem ihm einige seiner Medienkanäle verloren gegangen waren. Zwischen den Zeilen bettelt er auch um mehr Geld für sich und seine aktivistischen Getreuen. Zum zweiten ist jedes Buch, das der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, nicht nur ein Mittel der Selbstverständigung, sondern auch der Propaganda. Sellner ist gewiss nicht so dumm, daran zu glauben, ein „Linksrutsch der Gesellschaft“ habe stattgefunden und Rechte würden von einem „sanften Totalitarismus“ unterdrückt. Er sagt es aber, denn der Faschist muss seinen Gegnern immer das vorwerfen, was er ihnen selbst antun möchte.
Der „Regime Change von rechts“ hat alles, was man von einer Publikation aus den Reihen der Neuen Rechten erwarten kann. Es fehlen nicht die Bezüge zum deutschen Faschismus der Zwischenkriegszeit, schon der Titel ist eine Anspielung auf Hans Freyers Buch „Revolution von rechts“. Ganz wie üblich wird ein unmittelbarer Bezug zum Nationalsozialismus abgestritten, tatsächlich werden dessen Ideen aber nur postmodern kostümiert. Inzwischen schon ermüdend sind die obligatorischen Anleihen bei der linken Revolutionstheorie, mit denen Sellner die Gegner verwirren und die Gleichgesinnten verblüffen möchte. Auch ideologisch bietet der Band nichts Neues. Interessant ist nur die „Leitstrategie“ der „Reconquista“, die Sellner der politischen Rechten in Deutschland und Österreich vorschlägt, sowie die Positionen, von denen er diese Leitstrategie abgrenzt: „Sinnlose und selbstschädigende Nonstrategien wuchern in einem Kaleidoskop aus Subkulturen, Aktionsformen, Kampagnen, Konzepten und Stimmungen.“ (Ein Kaleidoskop, in dem es wuchert – ein großer Stilist der deutschen Sprache wird aus dem Sellner Martin wohl nicht mehr.) Gegen den Strich gelesen, offenbart dieses Buch die Konflikte und Schwachstellen innerhalb der Neuen Rechten.
Welche Wege hält Sellner für falsch? Da wäre zunächst die „Militanz“, die nicht in der Lage sei, den Herrschenden zu besiegen, stattdessen nur Vorwand für härtere staatliche Repressionen biete und die Bevölkerung verschrecke. Für Irrwege hält er aber auch die verschiedenen Formen des Rückzugs: Schädlich sei eine Abkapselung in völkischen Siedlungen oder großstädtischen Nazi-Kiezen, die den Anspruch auf die gesamtgesellschaftliche Umwälzung aufgebe. Auch die besonders bei Intellektuellen beliebte Abkehr von praktischer Politik zugunsten der Hoffnung auf eine große „geistige Wende“ führe nicht vorwärts. Das gelte erst recht für die vergangenheitsfixierte Verherrlichung der Nationalsozialismus. Sellner spricht hier auch in eigener Sache: Haben ihn doch erst gerichtlich verfügte Sozialstunden dazu gebracht, keine Hakenkreuze mehr an Synagogen zu kleben und sich stattdessen zum Lambda der „Identitären“ zu bekehren.
Sellners interner Hauptgegner aber ist das, was er „Parlamentspatriotismus“ nennt. Gemeint sind jene in der AfD und der FPÖ, die bei der vermeintlichen „Demokratiesimulation“ mitspielen möchten und im Kampf um möglichst viele Wählerstimmen bereit sind, sich an den politischen Betrieb anzupassen und vom Rechtsextremismus zu distanzieren. Sie vernachlässigen den außerparlamentarischen Aktivismus und den Kampf um die kulturelle Hegemonie – also in sträflicher Weise eben jene „Metapolitik“, mit der Sellner seine Brötchen verdient. Die „Parlamentspatrioten“ sind in seinen Augen reformistische Kompromissler, die das eigentliche „Hauptziel“ aus den Augen verlieren oder sogar ausdrücklich verraten: „Wir müssen unsere ethnokulturelle Identität und Substanz bewahren.“ Das heißt für Sellner nicht nur, den vermeintlich stattfindenden „Bevölkerungsaustausch“ zu beenden, sondern durch „Remigration“ auch all jene wieder aus Europa zu entfernen, die aus identitärer Sicht nicht hierhergehören. Differenzen innerhalb der Rechten, etwa in wirtschaftspolitischer Hinsicht, sollen zugunsten des Hauptziels zurücktreten. Wenn er versichert, die „Remigration“ könne „ohne jeden Bruch mit der Verfassung, ohne Gewalt und in Würde“ vonstattengehen, wird seine Verlogenheit geradezu schmierig. Was „Remigration“ wirklich bedeutet, können sich alle ausmalen, die über ein wenig Verstand, Einfühlungsvermögen und Fantasie verfügen: Millionen Menschen würden nach rassistischen Kriterien selektiert, entrechtet und zur Deportation befohlen, Familien und Freundschaften würden zerrissen, Firmen und Häuser massenhaft enteignet, Widerstand mit Zwang und Gewalt gebrochen. Die Vision des Klemmnazis Sellner und natürlich auch seines Kameraden Höcke läuft auf nichts anderes hinaus als auf ethnische Säuberung.
Hat Sellner tatsächlich eine Erfolgsstrategie vorgelegt? Man kann daran zweifeln. Wie groß die Vorurteile gegen Ausländer und die Vorbehalte gegen zu große Zuwanderung in der Bevölkerung auch immer sein mögen – Sellners „Reconquista“ ist auch nicht annähernd mehrheitsfähig. Dass er gezwungen ist, sie feige zu bemänteln, ist der beste Beweis dafür. Seine Erklärung, die Bevölkerung sei nun einmal von den Medien umfassend manipuliert und könne daher die Weisheit seiner Pläne noch nicht erkennen, ist die Ausrede eines Versagers. In Wahrheit interessieren sich die meisten Menschen nicht die Bohne für völkische Reinheit, viele sind mit Menschen aus aller Welt befreundet oder zeugen gar Kinder mit ihnen. Sellner, der ein paar linke Ideen entwendet, aber vom materialistischen Denken wenig begriffen hat, vergisst noch etwas: Die Wirtschaft in Europa funktioniert ohne massenhafte Migration längst nicht mehr – eben deswegen wird es sie weiterhin geben, was immer ein Häuflein Identitärer auch dagegen kräht. Sellners Vorhaben, die Deutschen durch „positive Familienpolitik“ zu mehr Vermehrung zu bringen, um Zuwanderung überflüssig zu machen, erhebt sich nicht über das Niveau einer nationalistischen Wichsfantasie.
Realistischere Rechte haben längst begriffen, dass mit völkischem Denken auf Dauer wenig zu gewinnen ist, auch dann nicht, wenn es sich als „identitär“ etikettiert. Die meisten Unternehmer wollen davon nichts wissen, zudem verschreckt Rassismus eine Menge Wähler mit Migrationsgeschichte, die sonst für rechte Politik durchaus offen wären. Auf demokratischem Weg also wird Sellners Strategie nie zum Ziel führen. Aber das Buch verrät auch sehr deutlich, dass die Neurechten die Demokratie verabscheuen, sie allenfalls vorerst noch als Instrument benutzen wollen. Die Drohung mit Gewalt spricht aus jeder Zeile. Und auch für das „deutsche Volk“, dessen Vertretung sich die Neuen Rechten anmaßen, hat Sellner nur Verachtung übrig, weil es ihm bislang nicht folgen mag. Die Deutschen sollten wissen, dass sich da einer als ihr Retter aufspielt, der sie für eine „überalterte, hypermoralische, wehleidige Biomasse“ hält.
Foto: Amac Garbe