11. März 2021
Kolumne von Felix M. Steiner
Die meisten Kolleg:innen kennen das: Wir sind auf Demonstrationen oder bei Neonazi-Veranstaltungen, um diese zu dokumentieren. Die Polizei ist natürlich vor Ort. Irgendwann fangen dann extrem rechte Teilnehmer:innen an, uns zu beleidigen, uns zu bedrängen oder uns zu attackieren. Der übliche Weg ist natürlich: Wir wenden uns an die Polizei und bitten diese, unser grundgesetzliches Recht auf Pressefreiheit – und auch unsere körperliche Unversehrtheit – zu schützen bzw. zu gewährleisten. Soweit die Theorie. Was dann aber häufig in der Praxis passiert, kennen auch viele: Die Polizei nimmt nicht die Demokratiefeinde zur Seite oder erfasst deren Daten, sondern schickt die Journalist:innen weg. Denn völlig klar, ohne deren Anwesenheit und deren Arbeit, wäre ja alles schön ruhig hier. Nazis machen ja nur Probleme, wenn Journalisten oder Linke da sind. Oder linke Journalisten. „Linke Journalisten“ sind übrigens meist Leute, die es mit der Pressefreiheit und den Menschenrechten ernst nehmen. Vor vielen Jahren wies ein Hundertschaftsführer der Bundespolizei in Köln sogar mal seine Beamten an, mich nicht weiter zu schützen, wenn Neonazis wieder auf mich losgehen würden. Denn Grund der Aggression war natürlich meine Arbeit. Dies war das einzige Mal, dass ich den Weg einer Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt habe. Der betreffende Beamte hatte sich dann eine spannende Erzählung zurechtgelegt. Mit der Realität hatte diese nichts zu tun. Das Problem war: Mit meinen Fotodaten konnte ich belegen, dass die Geschichte des Beamten nicht der Wahrheit entsprach. Ich bot also der Beschwerdestelle der Bundespolizei an, meine gesamten Foto-Dateien zur Verfügung zu stellen, um zu zeigen, dass der Beamte die Unwahrheit gesagt hatte. Und, was antwortete mir die Beschwerdestelle auf mein Angebot? Folgendes: „…muss Ihnen mitteilen, dass Polizeihauptkommissar **** bei seiner bisherigen Stellungnahme bleibt. Demzufolge kommen wir in dieser Sache leider nicht weiter, da ich mir schlussendlich kein objektives Urteil ob der Geschehnisse machen kann.“ Damit war die Sache vom Tisch und der Beamte dann auch wieder frei für mögliche anstehende Beförderungen. Schön für ihn.
Das dieses Problem nicht bei der Polizei endet, sondern diese pressefeindliche und damit demokratiefeindliche Argumentation sich bis in die Justiz weiterzieht, durfte vor wenigen Wochen auch mein geschätzter Journalisten-Kollege Christoph Hedtke kennenlernen. Er dokumentierte 2016 eine Kampfsportveranstaltung in Leipzig. Dort sind immer auch Personen aus der Neonazi-Szene und der Organisierten Kriminalität zugegen. Mein Kollege dokumentierte die Veranstaltung vor der Location, da Presse natürlich im Inneren nicht zugelassen war. Ein stadtbekannter Hooligan bewarf meinen Kollegen dann mit einer Flasche. Diese zerschellte am Zaun und verletzte den Journalisten leicht. Da die Mühlen der Justiz sehr langsam mahlen, gab es nun ein Urteil. Keine Angst, der Hooligan, der wohl auch tief in extrem rechte Netzwerke verstrickt ist, konnte mit einer milden Geldstrafe den Gerichtssaal verlassen. Denn auch für den Amtsrichter war Ursache-Wirkung klar: „Ich bin der Ansicht, dass der Tat eine Provokation vorausgegangen ist, nämlich durch die Aufnahmen des Herrn Hedtke“, sagte Amtsrichter Marcus Pirk laut dem Bericht der Leipziger Zeitung. Journalismus als Provokation.
Foto: Felix M. Steiner