Nazis über die man lachen kann/ Nazis für Klicks

Nazis über die man lachen kann/ Nazis für Klicks

12. Februar 2021

Kolumne von Felix M. Steiner

Ein Mal im Monat eine Kolumne abgeben. Das ist mittlerweile für mich in all dem Lockdown-Stress auch ein wenig Ruhe abends da zu sitzen und die aktuelle Zeit, die so schnell an mir vorbeifliegt und so wenig Pausen bietet, zu reflektieren. Was ist eigentlich passiert? Worüber kann ich schreiben? Trägt das Thema auch? Und dann habe ich immer die Wahl zwischen den ganz ganz großen gesellschaftlichen Themen und den kleinen, eher randständigen Ereignissen. Heute bleiben wir bei den weniger bedeutenden. Am 30. Januar, also genau 88 Jahre nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, starb Karin Ritter. Du kennst Karin Ritter nicht? Naja, Google halt. Den meisten Menschen ist Karin Ritter bzw. die Familie Ritter aus Köthen (Sachsen-Anhalt) bekannt, weil Stern TV die Familie fast 30 Jahre mit der Kamera begleitete. Warum? Eine gute Frage. Die Ritters waren unweigerlich eine Neonazi-Familie, sie waren wohl vielmehr auch das, was gemeinhin mit Begriffen wie Prekariat oder Unterschicht bezeichnet wird. Aber natürlich wenigstens Deutsche. Also in ihrer Wahrnehmung. Der gute deutsche Mittelstand würde wohl selbsterhebend von „Nazi-Assis“ sprechen. Der Kollege Martin Eimermacher hat diese Scheinheiligkeit in einem Tweet sehr gut auf den Punkt gebracht.

Über Karin Ritter lacht ihr, weil sie arm und zahnlos war, aber wenn an Heiligabend eure feinen Verwandten in akademischer Sprache „Ausländer raus“ sagen, haltet ihr Bürgerkinder brav die Fresse ☺️

— Martin Eimermacher (@marteimer) January 31, 2021

Quasi ein medialer Elendstourismus nach Sachsen-Anhalt. Und Stern TV gab sich aus meiner Sicht auch nicht sonderlich viel Mühe, den Hintergründen dieser Familiengeschichte wirklich auf den Grund zu gehen. Es folgte quasi alle paar Monate das Format: „Lass mal gucken, was unsere Nazis machen“. Wer ist wieder im Knast, wen hat seine Alkoholsucht kaputt gemacht, in welcher Obdachlosenunterkunft leben sie nun. Wie kam es zum gesellschaftlichen Abstieg der Familie und hat das (vielleicht vielleicht) sogar was mit ihren extrem rechten Einstellungen zu tun, diese Fragen fand ich nie wirklich ernsthaft aufgegriffen. Damit blieben für mich die Berichte immer völlig oberflächlich. Vielleicht wäre alles andere auch weniger erfolgreich gewesen. Und der Kollege Martin Eimermacher hat natürlich völlig Recht. Im Kern ist ja Björn Höcke der Onkel, der an Heiligabend etwas elaborierter zwar, aber im Kern wohl eine ähnliche Weltsicht wie Karin Ritter vertritt. Als vor einigen Jahren eine Asylunterkunft vor Karin Ritters Wohnung gebaut wurde, formulierte sie Stern TV ihre Ablehnung pointiert folgendermaßen in die Kamera: „Raus mit die Viecher!!!“. Björn Höcke referiert natürlich lieber im Kreise Sakko tragender Herren in Schnellroda über irgendwelche aus der Biologie auf den Menschen übertragene „Ausbreitungsstrategien“ und schreibt dann später in seinem Buch, dass ein „Remigrationsprojekt“ nötig sei, bei dem man um eine „wohltemperierte Grausamkeit“ nicht herumkomme. Den Begriff entkontextualisierte er übrigens von Peter Sloterdijk. Was Karin Ritter und Höcke trennt ist wohl kaum mehr als die Sprache. Zumindest in der Konsequenz scheint man sich hier doch einig: „Raus mit die Viecher!“. Also lacht ruhig weiter über Karin Ritter. Denn das haben ja sogar bundesweit Neonazis getan. Irgendwann ist es zum Sport der Neonazi-Szene geworden, nach Köthen zu fahren und dann später Bilder vom Besuch bei Karin Ritter zu posten. Neonazis als Elendstouristen bei den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern. Jetzt ist Karin Ritter tot. Damit taugt sie wohl nur noch wenige Tage als Klick-Fang der Berichterstattung. Aber Onkel Björn bleibt uns wohl auch bis zum nächsten Heiligabend noch erhalten. Aber es gibt ja aktuell schon genügend Nachwuchs für Karin Ritter. Das bewies dieser Tage zuletzt Spiegel TV mit ihrem Bericht über Attila Hildmann. Der durfte seine wirre Ideologie in dem Bericht ausschütten. Neues konnte man nicht erfahren, aber wenigstens Advocadolf eine Plattform bieten. Das mit Volker Beck eines der Opfer von Hildmanns ekelhafter Hetze zu Wort kam, konnte den Bericht dann auch nicht retten. Mit Nazis reden. Für die Klicks.

Foto: Felix M. Steiner

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