Thomas Nuding für Mission Lifeline

„Jetzt erst recht!”

„Jetzt erst recht!”

17. März 2023

Im Gespräch mit Thomas Nuding über seinen Einsatz in der zivilen Seenotrettung.

Audio zum Interview

Es ist eine Geschichte über starken Aktivismus. Seit 2016 engagiert sich Thomas Nuding aktiv für die zivile Seenotrettung und war bereits auf sieben Missionen als Skipper oder Head of Mission mit an Bord. Angefangen hat er bei Sea-Eye, begleitete später mehrere Missionen von Mission Lifeline und gründete 2020 schließlich mit SARAH – Search And Rescue for All Humans eine eigene Seenotrettungsorganisation. Was einst aus Lust am Abenteuer begann, wurde für Thomas schnell eine Frage humanitärer Notwendigkeit. Dass Regierungen geltende Menschenrechte missachten, kann er nicht akzeptieren und darauf, dass Deutschland aktiv versucht die zivile Seenotrettung zu behindern, hat er eine klare Haltung: Jetzt erst recht!

Thomas, ich bin gespannt, was du alles zu erzählen hast und wir starten einfach mal ganz klassisch: was hast du für Mission Lifeline bisher gemacht?

Ich war zunächst für Sea-Eye tätig und bin später zu Mission Lifeline gekommen, weil mir das Konzept sehr gefallen hat. Für Mission Lifeline habe ich die berühmte Mission, die 2018 in Malta zur Festsetzung der LIFELINE führte, als Head of Mission geleitet. Weiterhin war ich an der Vorbereitung und Durchführung der Yachtfleet beteiligt, die 2019 als Protestaktion auf dem Mittelmeer stattfand. Zwischen Ende 2019 und Anfang 2020 habe ich mit SARAH – Search And Rescue for All Humans eine eigene Organisation gegründet. Wir, also SARAH und Mission Lifeline, haben uns dann auf den Kanaren wiedergefunden. Da wir zu dem Zeitpunkt kein eigenes Schiff hatten, beschlossen wir die geplanten Missionen der MARWA zu begleiten, wobei die erste Mission im Juli 2021 stattfand. Im November desselben Jahres war ich dann nochmal auf zwei weiteren Missionen als Skipper mit dabei.

Du hast bereits kurz angerissen, dass du eine eigene Seenotrettungsorganisation gegründet hast: SARAH. War deine Erfahrung, die du zuvor bei Mission Lifeline gesammelt hast, der Auslöser für diesen Entschluss?

Jein. Zu dem Zeitpunkt, als wir uns das überlegt hatten, gab es ständig diese ‒ leider schon fast traditionellen ‒ Festsetzungen der Rettungsschiffe durch Italien. Daher beschlossen wir, es braucht einfach mehr Schiffe und wir wollen Geld für ein weiteres Schiff sammeln. Das war die Hauptmotivation für SARAH: ein weiteres Schiff ins zentrale Mittelmeer entsenden zu können.


Nun plant das Verkehrsministerium diese unsägliche Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV), wodurch, wenn sie in Kraft tritt, die Seenotrettung massiv beeinträchtigt werden wird. Für die RISE ABOVE würde das aufgrund enormer Kosten das Aus bedeuten. Was hieße das für SARAH ‒ habt ihr ähnliche Schwierigkeiten?

Wir haben natürlich auch Schwierigkeiten durch diese potenzielle neue Verordnung. Aber die Kosten sind theoretisch für unser Schiff machbar. Denn die neue Regel soll beinhalten, dass Kleinfahrzeuge auf 24 Meter begrenzt werden. Mit 22,69 Meter fällt SARAH – im Gegensatz zur RISE ABOVE, die einen halben Meter zu viel misst ‒ unter diese Regel. Das heißt, sie ist zertifizierbar. Und da wir ohnehin sehr viele neue Geräte einbauen, weil die vorhandenen in ihrer Technik zu alt sind, zum Beispiel Navigationsgeräte, Radar etc., sind das sowieso zertifizierte Geräte. Also begrenzen sich unsere zusätzlichen Umbaukosten auf die Kosten jener Geräte, die wir eigentlich lassen würden, weil sie noch funktional sind, für die aber das Zertifikat fehlt. Das sind geschätzt 12.000 Euro. Hinzu kommt die CE-Zertifizierung selbst, die eigentlich nicht so teuer ist und zwischen 10.000 und 15.000 Euro liegt. Allerdings haben wir die Schwierigkeit, dass wir eine sogenannte Festigkeitsberechnung brauchen, also eine Ermittlung wie stark und schwach bestimmte Elemente des Schiffs beansprucht werden. Da das Schiff ein Einzelbau ist und sowohl Werft als auch Konstruktionsbüro beide nicht mehr existent sind, müssen diese Unterlagen frisch erstellt werden. Das habe ich mit 50.000 Euro geschätzt. Insgesamt müssen wir also zwischen 75.000 und 80.000 Euro Schätzkosten aufwenden, um die Zertifizierung zu erhalten. Hinzu kommen dann noch laufend höhere Kosten in Form von wiederkehrenden Prüfungen und höheren Versicherungskosten. Es sind machbare Kosten für unser Schiff, wenn wir dieses Geld zusätzlich aufwenden können. 

Das bedeutet vermutlich Spenden generieren, da ihr ebenfalls komplett spendenfinanziert seid, oder?

Das bedeutet mehr Spenden generieren. Weil wir als SARAH vor der Mammutaufgabe stehen, das Schiff zuerst einmal umzubauen ‒ und wir brauchen dafür derzeit eine Viertelmillionen Euro. Das ist nicht allzu viel Geld, allerdings ist es erstmal nur ein Basisumbau, damit wir dieses Jahr noch fahren können. In der Winterwerft 2023/24 würden wir dann nochmal nachlegen. Diese Kosten müssen zwar durch Spenden zunächst einmal aufgewandt werden, aber dafür haben wir dann ein Schiff, das anderen Seenotrettungsschiffen etwas überlegen ist. Wir haben ein Schiff, das 20 Knoten fährt ‒ und damit schneller ist als alle anderen ‒ und trotzdem eine mit anderen Schiffen vergleichbare Reichweitenstärke besitzt. Dieses Konzept ist für mich erfolgsversprechend, genauso wie das Konzept mit Freiwilligen fahren zu können.

Es ist schön zu hören, dass ihr das wahrscheinlich meistern könnt. Trotzdem ist der Plan des Verkehrsministeriums eine zusätzliche Hürde, die der Seenotrettung in den Weg gelegt wird. Was geht dir durch den Kopf, wenn du solche Regierungsentscheidungen hörst?

Also, angefangen hat das 2018. Als nach der Mission von Mission Lifeline die Festsetzung in Malta erfolgte und der damalige Innenminister Horst Seehofer behauptete, wir seien Schleuserhelfer, die Crew gehöre verhaftet und das Schiff beschlagnahmt. Das war ein persönlicher Angriff gegen mich und hat in mir unter anderem eine „Jetzt erst recht!“-Haltung ausgelöst ‒ und die habe ich bis zum heutigen Tag. Ich sage auch der jetzigen Bundesregierung ganz klar: Jetzt erst recht! Wenn sie uns die Hürden in den Weg legt, möchte ich sagen: Schert euch zum Teufel, wir machen das trotz aller Schwierigkeiten. Wir schaffen das und unser Schiff kann, soll und muss damit umgehen. Das ist meine Einstellung: Jetzt erst recht!

Genau diese Einstellung braucht man wahrscheinlich auch. Kannst du noch kurz etwas zu dem Hintergrund erzählen, wie du allgemein zur Seenotrettung gekommen bist? Was war der Auslöser?

Das ist eine harte Geschichte. Im Frühjahr 2016 habe ich einen Erfahrungsbericht von einem Segelkollegen in einem Newsletter gelesen und dachte: Oh, das hört sich nach Abenteuer und günstig Urlaub an ‒ ich bin Schwabe, das muss man dazu sagen ‒ das ist das Richtige für mich. Daraufhin habe ich mich bei verschiedenen Seenotrettungsorganisationen beworben und die erste Organisation, die mich anrief, war Sea-Eye. Während des ersten Telefonats wurde ich direkt zum Käpten befördert und später auf dem Schiff von einem erfahrenen Menschen, der RIPH-Fahrer und Head of Mission war, eingelernt. Während dieser ersten Mission habe ich die humanitäre Notwendigkeit gesehen, anderen Menschen helfen zu müssen, weil das Leid auf diesen Booten einfach unerträglich ist. Seit 2018 kommt die politische Komponente hinzu. Einerseits mit meiner erwähnten „Jetzt erst recht!“-Haltung. Und andererseits durch die Erkenntnis, dass Menschenrechte universell für jede:n gelten und alle Menschen gleich sind, aber die Rechte von jenen Menschen, die eine andere Hautfarbe, Herkunft oder Religion haben, massiv mit Füßen getreten werden. Und das ist nicht mein Europa. Das kann ich so nicht akzeptieren und da versuche ich gegenzusteuern. Das ist mittlerweile meine Hauptmotivation.

Wenn man anfängt, sich mit bestimmten Missständen in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen, verändert sich in gewisser Weise der eigene Blickwinkel und die Wahrnehmung auf die Welt. Man verlässt die Komfortzone. Du hast das ganz aktiv und konkret getan, indem du auf Missionen gefahren bist. Was hat sich in dir und in deiner Wahrnehmung durch deinen Einsatz verändert?

Ich lege viel stärkeren Fokus auf die Wahrung der geltenden Gesetze und ich erwarte von Menschen und Regierungen, dass sie diese geltenden Gesetze genauso versuchen einzuhalten wie ich. Zum Beispiel das deutsche Grundgesetz. Die ersten 19 Artikel sind die wichtigsten, das sind die allgemeinen Grundrechte. In Artikel 1 steht beispielsweise: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Da steht nicht „die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar“. Insofern missachten unsere Regierungen zutiefst geltendes Recht und das kann ich nicht akzeptieren. Dahingehend hat sich mein Blick auf die Gesellschaft schon gewandelt. Ich unterscheide zum Beispiel bei meinen Freunden klar zwischen jemanden, der mich versteht und jemanden, der für mich quasi die Opposition darstellt. Und da sortiere ich auch relativ klar aus.

Du hast mittlerweile sehr viel Erfahrung in der Seenotrettung. Was war deine bisher größte Herausforderung, der du dich stellen musstest?

Die größte Herausforderung war Ostern 2017. Damals war ich Skipper der Sea-Eye. An diesem Osterwochenende war zufällig auch das Ende von Ramadan und die erste längere Schönwetterperiode in diesem Jahr. Es kamen mehrere Faktoren zusammen, sodass an drei Tagen 8500 Menschen gleichzeitig auf dem Meer waren. Am ersten Tag 2500 Menschen, die von den großen Schiffen abgefahren wurden. Die kleineren Schiffe, wie das von Mission Lifeline und Sea-Eye, wurden mit den anderen über 6000 Menschen alleingelassen. Es kam so gut wie keine Hilfe. Als Besatzung von Sea-Eye waren wir in dieser Situation mit einem sinkendem Gummiboot konfrontiert. Es gab bereits 14 Tote. Und auf unserem Schiff ist eine Frau noch während der Rettung gestorben.

Es ist bestimmt nicht einfach, mit solchen Erfahrungen umzugehen und sich nicht davon überwältigen zu lassen. Und trotzdem machst du weiter. Hast du einen Aktivisten-Tipp, wie man dranbleibt?

Ganz einfach: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Punkt.

Gibt es etwas, was du den Menschen zum Abschluss noch mit auf den Weg geben möchtest?

Leute, es ist sehr wichtig unsere Arbeit generell zu unterstützen. Ihr könnt das für Mission Lifeline tun. Aber ich freue mich natürlich auch über Unterstützung von SARAH, denn als neue NGO sind wir auf jede Unterstützung angewiesen. Wir haben wegen den aktuell anderen Krisen mit zu wenigen Spendeneingang zu kämpfen. Das hat angefangen mit Corona, dann der Ukraine-Krieg und natürlich jetzt ganz aktuell das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Alles Dinge, die natürlich auch sehr beachtenswert und engagierenswert sind, aber leider kommt da unser Anliegen ein bisschen zu kurz. Wir haben ein technisch sehr geiles Schiff, aber wir brauchen noch sehr viel Geld, um diesen Umbau termingerecht zu stemmen. Denn wir wollen im Spätsommer dieses Jahres erste Missionen fahren. 
Das Gespräch führte Kathi Happel

Foto: Hermine Poschmann

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