27. September 2022
Kolumne von Özge Inan
Die Frauen im Iran haben genug. Nachdem die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September von der sogenannten Sittenpolizei zu Tode geprügelt wurde, sind im Land blutige Proteste ausgebrochen, die schon mehrere Dutzend Tote forderten. Die Oppositionellen wollen keine Reformen, keine Zugeständnisse. Es geht um nicht weniger als ein Ende des Gottesstaats, die Einrichtung einer Demokratie, die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen. Und, auch wenn das in der muckeligen deutschen Medienlandschaft zuweilen untergeht, Rache. „Ich töte, ich töte, den Mörder meiner Schwester“ hört man aus den Reihen der Demonstranten, die immer öfter auch gezielt einzelne Polizisten angreifen.
Soweit die Lage. Was machen wir jetzt damit – hier, im Land von Irans wichtigstem europäischen Handelspartner und seinen chronisch bauchschmerzgeplagten Politikern?
Was können wir von den westlichen Regierungen sinnvollerweise einfordern? Aus Mangel an konkreten Antworten auf diese tatsächlich komplexen Fragen begnügen sich viele mit abstrakten Begriffen. „Konsequenzen“ ist der Dauerbrenner unter ihnen, eine „Verurteilung“ der Menschenrechtsverletzungen, „Solidarität“ mit den Protesten. Und die Zuständigen sollen es ja nicht wagen, es bei warmen Worten zu belassen, nein, handfeste Folgen muss es geben. Handeln. Eingreifen. Intervention.
So macht man es dem iranischen Regime nur allzu leicht, die Proteste als Vorboten eines vom Westen eingefädelten Putsches zu diffamieren. Schlimmer noch: man offenbart das eigene Unvermögen, die Bevölkerung des Irans als Subjekt, als gestaltender Akteur seines eigenen Schicksals zu begreifen. Die Menschen riskieren auf den Straßen ihr Leben für die Freiheit, nicht für den Austausch der Mullah durch westliche Herrscher, die ihnen erklären, wie das mit Rechtsstaat, Gleichberechtigung und Demokratie zu laufen hat.
Die sinnvollste und naheliegendste Forderung ist eine, die nur selten auf Plakaten oder in Zeitungen zu finden ist. Menschen aus dem Iran, die entweder hier leben oder hierher auswandern wollen, muss es so einfach wie möglich gemacht werden, sich in Ruhe ein neues Leben aufzubauen. Denn die Hürden dafür sind zahlreich und sie sind fest in unseren Gesetzen verankert.
Die Schutzquote für iranische Einwanderer beträgt nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge etwa 25 Prozent. Ein Großteil der restlichen 75 Prozent erhält eine sogenannte Duldung, also die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ausreisepflichtiger Personen. Menschen mit diesem Status können theoretisch jederzeit in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden.
Fälle, in denen die Polizei Kinder aus Klassenräumen, werdende Väter aus Kreißsälen und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen aus Krankenhausbetten holt, gehen regelmäßig durch die Presse, bleiben aber bis auf einen kurzen Empörungsmoment folgenlos.
Mit iranischen Staatsangehörigen passiert das selten, kommt aber durchaus vor. 2018 hatte der Fall einer schwangeren Iranerin Schlagzeilen gemacht, die sich aufgrund von gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit ihrer Diabeteserkrankung im Mainzer Universitätsklinikum befand. Dort wurde sie mitten in der Nacht von zehn Polizisten abgeholt und mit ihrem Mann und ihrem einjährigen Sohn zum Flughafen Hannover gebracht, von wo aus die Familie nach Kroatien abgeschoben werden sollte. Das Paar setzte sich zur Wehr, der Pilot weigerte sich, die Maschine zu starten. Die Beamten brachten den Mann in ein Abschiebegefängnis. Die kranke Schwangere und ihr Kind ließen sie allein am Hauptbahnhof in Hannover zurück.
Statistisch betrachtet sind solche Fälle Ausnahmen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Iran Abschiebungen nur akzeptiert, wenn gültige Pässe vorliegen. Ein Rückübernahmeabkommen, das Abschiebungen von Menschen ohne Pass ermöglichen würde, existiert nicht. Aus unterschiedlichen Gründen besitzen viele iranische Staatsangehörige bei ihrer Ankunft in Deutschland allerdings keine Papiere.
Damit wird eine Abschiebung zwar unmöglich, eine dauerhafte Bleibeperspektive ergibt sich dennoch nicht. Denn für die Ausländerbehörden gelten Betroffene als „Mitwirkungsverweigerer“, Erklärungen über Verlust oder Diebstahl der Papiere werden schlicht nicht akzeptiert. In diesen Fällen drohen harte Sanktionen, die Palette reicht von Arbeitsverboten über Kürzungen von Sozialleistungen bis hin zu Strafanzeigen. Auf die Weigerung, im Asylverfahren an der Identitätsfeststellung mitzuwirken, steht bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe. Im Zweifel kann das bedeuten: Mitwirkung an der eigenen Abschiebung oder Gefängnis.
Laut Zahlen der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl leben rund 200.000 Menschen in Deutschland als Geduldete. Dass gerade Menschen aus dem Iran derart gegängelt werden, während die Mullah seit Jahrzehnten ihre eigenen Leute terrorisieren und das Land aktuell in bürgerkriegsähnliche Zustände fällt, müsste ein Skandal sein. Alternativ kann man es auch deutsche Normalität nennen.
Foto: Timo Schlüter