Eine Spaziergängerin auf Abwegen

Eine Spaziergängerin auf Abwegen

08. Mai 2022

Von Matthias Meisner

Es ist eine meiner Lieblingsherbergen in Deutschland gewesen: ein kleines B&B in einem liebevoll restaurierten Fachwerkhaus in Unterfranken. Vor Jahren habe ich es erstmals entdeckt bei einer Radtour am Main. Später wurde dort der 85. Geburtstag meiner Mutter gefeiert. Und noch ein wenig später verbrachten wir dort die Flitterwochen. Jetzt aber habe ich quasi Hausverbot. Das hat mich kalt erwischt.

Die Gastwirtin schrieb mir zu einer Buchungsanfrage für den Sommer: „Hallo Herr Meisner, Sie schreiben sehr ausdauernd und pauschalisierend gegen Andersdenkende an und sprechen Menschen das Recht ab, für ihre Überzeugung spazieren/demonstrieren zu gehen. Sie grenzen aus und spalten, indem Sie so holzschnittartig gegen Kritiker der Coronamaßnahmen und Impfgegner sprechen und schreiben.“

Und weiter: Wer nicht auf Regierungslinie sei und nicht an die – in Gänsefüßchen – „Pandemie“ glaube, „dem setzen Sie einen Aluhut auf und schieben ihn ganz weit in die undemokratische rechte Ecke“. Soviel Intoleranz sei schwer zu ertragen. „Deshalb möchte ich an Sie nicht mehr vermieten, denn Ihre Äußerungen widersprechen meinen Grundsätzen und Werten einfach zu sehr.“

Das saß. Die Herbergsmutter, die früher in der Alternativ-Szene unterwegs war, und ich schrieben uns nach der Absage ein paar Mails hin und her. Will sie nicht sehen, dass die Corona-Proteste zum Konjunkturprogramm für die extrem rechte Szene geworden sind? Und dass dies viele der „Spaziergänger“ ausblenden und es anderen unter ihnen egal ist.

Was sagt sie dazu, dass im benachbarten Schweinfurt Tausende von Bürgerinnen und Bürgern einen „Aufruf für Demokratie und Zusammenhalt“ unterschrieben haben, in dem es heißt: „Die Parolen einer lautstarken Minderheit, dass der Staat wie eine Diktatur handelt, sind absurd und verhöhnen alle Opfer von Diktaturen. (…) Teils verdeckt, teils bewusst und offen suchen manche Corona-Kritiker den Schulterschluss mit der rechtsextremen Szene.“ Was entgegnet die Gastwirtin dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, der meint, dass Rechtsradikale die Corona-Proteste nutzen, „um den aus ihrer Sicht notwendigen Sturz ,des Systems‘, also des demokratischen und liberalen Rechtsstaats, herbeizuführen“?

Die Gastwirtin aus Unterfranken, seit Oktober 2021 bekennende Corona-„Spaziergängerin“, steht geradezu typisch für eine kippende Stimmung in Teilen der bürgerlichen Mitte als Folge der Debatten um die Corona-Maßnahmen.

Als „exemplarisch für den Weg vieler Köpfe in der ,Querdenker‘-Bewegung“ hat der Journalist Alexander Roth aus Waiblingen die „Geschichte der Radikalisierung“ eines Gastwirts beschrieben, der in Schwäbisch Gmünd regelmäßig Corona-Proteste organisierte. Und der dann im sächsischen Johanngeorgenstadt Bürgermeister werden wollte – auf dem Ticket der rechtsextremen „Freien Sachsen“. Dass Alexander Roth darüber berichtete, trug ihm vom schwäbischen und nun in Sachsen lebenden „Querdenker“ eine ganze Kanonade an Vorwürfen ein: „Hetzer und Spalter“, „Regierungspropagandist“, „Schreibtischtäter“, „erbärmliches Produkt einer ideologisierten, verblendeten und verblödeten Jugend“.

So krass fielen die Antworten der B&B-Chefin aus der kleinen Stadt in Unterfranken auf meine Fragen nicht aus. Sie schätze, dass bei jeder Demonstration „auch ein paar Menschen mitlaufen, die Extremen zugeordnet werden können“, verteidigte sie die Demonstrationen – und ihre Teilnahme. Aber: „Davon lasse ich mir mein Recht auf Protest nicht kaputt machen.“ Was Medien und Polizei beispielsweise aus einer Corona-Demonstration in Schweinfurt gemacht hätten, entspreche offenbar „nicht ansatzweise der Wahrheit“. Da ist es wieder: das seit Jahren bei rechten Demos, etwa bei Pegida, gepflegte „Lügenpresse“-Narrativ.

Richtig umgehauen hat mich die Replik der Gastwirtin auf die Aussage des Präsidenten des Zentralrats der Juden: „Josef Schuster beschützt und bewahrt jüdisches Leben in Deutschland nicht gut, das belegen die Zahlen der ausgewanderten jüdischen Mitbürger. Von Jahr zu Jahr werden es mehr.“

Müssen wir nicht alle gemeinsam dafür sorgen, dass Minderheiten in diesem Land gut leben können? Und einmal abgesehen davon, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland dank der Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990 signifikant gewachsen ist: Könnte es nicht sein, dass sich viele Jüdinnen und Juden in diesem Land nicht mehr sicher fühlen? Dies auch deshalb, weil bei Corona-Protesten der Holocaust verharmlost wird, zum Beispiel mit den gelben „Ungeimpft“-Sternen eines Neonazi-Versandhändlers aus Halle?

Ich bekam dann noch eine letzte Antwort aus Unterfranken: „Wir beide kommen sicher nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Ist nicht so schlimm.“ Stimmt, auf einen Nenner kommen wir beide so schnell nicht. Bei der Pointe widerspreche ich: Die ist bitter.

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