05. Juni 2022
Kolumne von Ruprecht Polenz
Nachhaltig geht anders. Für drei Monate schont die Ampel-Koalition das Portemmonnaie von Auto- und Bahnfahrer:innen. Eine sog. Spritpreisbremse soll das Tanken billiger machen. In Nahverkehrszügen kostet das Ticket im Juni, Juli und August jeweils nur neun Euro. Danach ist wieder alles beim alten.
Die meisten Menschen freuen sich trotzdem, wie Straßenumfragen der Medien zeigen. Wann verzichtet der Staat schon mal auf Steuereinnahmen in Höhe von 3,15 Milliarden Euro an der Tankstelle.
Es wird sich zeigen, in welcher Höhe die Steuersenkungen – 35 Cent pro Liter Benzin, 17 Cent pro Liter Diesel – an der Zapfsäule tatsächlich an die Kund:innen weitergegeben werden. Politik und Kartellbehörden sind jedenfalls darum bemüht, dass der Steuerverzicht nicht die Konzerngewinne erhöht, sondern dass die Verbraucher:innen entlastet werden.
Gegenwärtig schwanken die Angaben. Den Preissenkungen um 30 Cent am ersten Tag sind mancherorts am nächsten Tag Preissteigerungen um vier Cent gefolgt. Eine genaue Bilanz wird man erst nach dem Ablauf der drei Monate ziehen können.
Was man allerdings jetzt schon weiß: die Spritpreisbremse ist energiepolitisch und sozialpolitisch verfehlt. Je wohlhabender die Besitzer:innen, desto größer die Autos, desto höher der Spritverbrauch – und damit der Steuervorteil. Das ist eine „Umverteilung von unten nach oben“ (Ifo-Chef Clemens Fuest).
Außerdem setzen die niedrigeren Spritpreise auch energiepolitisch ein völlig falsches Signal. Die Verbrennung fossiler Energien muss drastisch reduziert werden, um die Klimaschutz-Ziele zu erreichen und die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dem Preis kommt dabei eine wichtige Steuerungsfunktion zu. Eine CO2-Bepreisung soll zu sparsamerem Verbrauch führen und den Umstieg auf erneuerbare Energien fördern.
Auch auf Benzin wird deshalb eine CO2-Steuer erhoben. 8,4 Cent wird der Liter Benzin dadurch dieses Jahr verteuert. 2025 sollen es 15 Cent sein. Für drei Monate setzt die Bundesregierung diesen Mechanismus jetzt nicht nur außer Kraft, sondern konterkariert ihn geradezu durch die Spritpreisbremse. Hüh und hott. Und nach drei Monaten wieder hüh. Nachhaltige Politik geht anders.
Aber ist nicht wenigstens das 9-Euro-Ticket eine sinnvolle Maßnahme? Die Bundesregierung verspricht sich davon eine Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Insgesamt 2,5 Milliarden Euro lässt sich der Bund den quasi Null-Tarif für die drei Sommermonate kosten.
Zum Vergleich: Für den Aus- und Neubau der Schiene sind im Entwurf des Bundeshaushalts für 2022 mit 1,2 Milliarden Euro nicht mal die Hälfte dieses Betrags vorgesehen.
Die Bundesregierung hofft, dass viele durch das 9-Euro-Ticket auf den Geschmack kommen und auch in Zukunft das Auto stehen lassen.
Das wäre ja schön, aber Skepsis ist angezeigt. Der ÖPNV ist vor allem für Berufspendler:innen eine mögliche Alternative zum Auto. In der Presse wurde allerdings vor allem mit Fahrten quer durch Deutschland für das 9-Euro-Ticket geworben. Mit Regionalzügen in neun Stunden fast umsonst von Berlin nach Sylt. Vorausgesetzt, man erreicht beim Umsteigen – das ist drei bis fünf Mal nötig – die Anschluss-Züge. Sonst dauert es entsprechend länger.
Das passt zur Urlaubszeit, wo es vielleicht nicht auf jeden Tag ankommt. Aber im Alltag wird man die Fahrt mit dem IC in 5 1/2 Stunden machen, ganz ohne Umsteigen.
Man kann also mit guten Gründen bezweifeln, ob Fernreisen mit Regionalzügen und 9-Euro-Ticket tatsächlich eine Werbewirkung für den ÖPNV entfalten, die über die drei Monate hinausgeht.
Aber werden nicht Berufspendler wegen des 9-Euro-Tickets auf den ÖPNV umsteigen?
Viele Autofahrer:innen überlegen sich das wegen der hohen Spritpreise sowieso. Da ist das 9-Euro-Ticket allenfalls eine freundliche Zugabe. Denn richtig gerechnet – Anschaffungs- und Instandhaltungskosten, Versicherung, Steuern, Treibstoff – kostet ein Kilometer mit einem Mittelklasse-Auto 25 Cent.
Beim Fahren mit der Bahn kostet ein Kilometer – ohne Preisnachlässe – zwischen 13 und 20 Cent.
Außerdem fällt das 9-Euro-Ticket in die Urlaubszeit. Wollte man es gezielt für den Umstieg von Berufspendler.innen nutzen, wären Monate im Herbst besser gewesen.
Ist es wirklich in erster Linie der Preis, der vom Umstieg auf den ÖPNV abhält, wie die Bundesregierung glaubt, oder liegt es nicht viel eher an Defiziten im Angebot wie Verfügbarkeit, Zeittakt, Pünktlichkeit und Komfort?
Statt mit dem 9-Euro-Ticket ein Strohfeuer im Sommer anzufachen, von dem nach drei Monaten nur kalte Asche übrig bleibt, hätte man die 2,5 Milliarden Euro deshalb besser in eine dauerhafte und strukturelle Verbesserung des ÖPNV gesteckt
Man hätte für das Geld beispielsweise 250 Regional-Express-Züge anschaffen können oder 73 ICE 4. Für die 2,5 Milliarden Euro könnte man 208 km Schienennetz bauen oder 4166 Elektrobusse kaufen. Und statt für die verfehlte Spritpreisbremse hätte man die 3,5 Milliarden Euro ebenfalls für eine Stärkung des ÖPNV verwenden müssen. Jedenfalls dann, wenn man es mit Verkehrswende und Klimaschutz ernst meint.
Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP