Die Welt brennt, lasst uns baden gehen!

Die Welt brennt, lasst uns baden gehen!

11. Juli 2021

Kolumne von Robert Fietzke

Eine nie da gewesene Hitzewelle rafft Menschen und Tiere in Kanada nieder. Inzwischen sind es Hunderte, die den fast 50° Celsius in British Columbia zum Opfer gefallen sind. Arme Menschen, die sich keine Klimaanlage leisten können, schlafen in Massen in kühlen Parkhäusern. Andere legen sich in ihr laufendes, klimatisiertes Auto. Gleichzeitig lodern über 180 Feuer in den Wäldern. Die Trockenheit ist immens, aber nicht der einzige Grund, denn viele dieser Feuer werden durch Blitzeinschläge entfacht, deren Häufigkeit wiederum durch Extremwetterereignisse zunehmen. Weltweite Berühmtheit erlangt die kleine Ortschaft Lytton, weil dort der Allzeit-Temperaturrekord von 49,6° gemessen wird. Wenige Tage später existiert das Dorf nicht mehr. Es brennt fast vollständig nieder.

Im äußersten Norden Skandinaviens, noch nördlich des Polarkreises, werden fast 35° gemessen. Es ist der heißeste Juni in Finnland seit 177 Jahren, also seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Online-Angebote deutscher Zeitungen bebildern diese Nachrichten mit atmosphärischen Sonnenuntergangs-Bildern badender Menschen. Endlich sommerlich planschen in Lappland. Danke, Klimakrise.

Währenddessen suchen schwere Unwetter die japanische Hauptinsel Honshū heim. Hunderttausende Menschen werden evakuiert und fliehen vor sintflutartigem Regen, Überflutungen, Schlammlawinen und Erdrutschen. Sie haben gerade andere Sorgen, als die um die Welt eilenden Bilder des brennenden Ozeans im Golf von Mexiko, das durch ein Pipeline-Leck entstandene „Feuerauge“, zu betrachten.

Wahlkampf zum Abgewöhnen

Gut, dass der Bundestagswahlkampf in Deutschland von einer wirklich ernsthaften Befassung mit der misslichen Lage, in der die Menschheit insgesamt zu stecken scheint, geprägt ist. Welch ein famoser Wettbewerb der Ideen, welch ein leidenschaftliches Feuerwerk an Zukunftskonzepten, die all jenen, die sich berechtigterweise verdammt große Sorgen um die Zukunft machen, die Angst nehmen und signalisieren: Wir bekommen das in den Griff. Wir haben die Zeichen der Zeit verstanden. Wir schaffen das. Oder um es mit dem aussichtsreichen Kandidaten auf eines der mächtigsten Regierungsämter der Welt zu sagen: „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden.“

Aber mal Zynismus beiseite, eigentlich muss man Armin Laschet und seiner Truppe dankbar sein für diesen Wahlkampf, denn selten konnte die politisch interessierte Öffentlichkeit so deutlich sehen, wie erschreckend planlos die CDU umhereiert – und zwar auf nahezu jedem politischen Gebiet. Aber wäre sie nur planlos, wäre das noch im Rahmen der herkömmlichen Zustandsbeschreibung für diese Partei. Sie ist aber leider noch etwas anderes: Gefährlich. Inmitten dieser sich eindeutig zuspitzenden Klimakrise ein Gesetz im bevölkerungsreichsten Bundesland durchzusetzen, das die Windenergie praktisch platt macht, das ist mit anderen Attributen als „gefährlich“ kaum noch zu beschreiben. Oder werfen wir einen Blick auf die gerade erst veröffentlichte Plakat-Kampagne zur Bundestagswahl. Es ist kein Zufall, dass sie ausschließlich weiße Menschen zeigt. In der politischen Kommunikation gibt es keine Zufälligkeiten. Die CDU setzt diese Gesellschafts-Monotonie nicht nur als bewusste Zielgruppenansprache ein, sondern auch als Leitbild ihrer Vorstellung von Gesellschaft, einer Gesellschaft der zementierten weißen Dominanzkultur. Es ist daher auch kein Zufall, dass die Führungsriege rund um Laschet und Ziemiak neuerdings mit Kommunikationstechniken arbeitet, die wir eher aus den US-Wahlkämpfen kennen, nämlich mit Projektionen auf den politischen Gegner, etwa indem ausgerechnet sie – Hans-Georg Maaßen, hallo? – den Grünen „Trumpismus“ vorwerfen.

Die Kulturkämpfer aus dem Konrad-Adenauer-Haus

Es ist nämlich so: Die CDU führt keinen Kampf mehr um das Politische, also um die besten Lösungen für die gravierendsten Probleme. Sie hat sich in der Ansprache und in der Wahl ihrer Themen längst von der AfD und anderen Akteur*innen der neuen Rechten auf deren basales Schlachtfeld ziehen lassen, das des Kulturkampfs. Wenn durchideologisierte Wahlkämpfer wie Friedrich Merz häufiger über das „Gendern“ als über echte politische Probleme reden, die Millionen von Menschen existenziell belasten, dann ist das Ausdruck einer gravierenden Verschiebung der politischen Prämissen. Möglicherweise ahnt die Union auch, dass sie angesichts ihres schlimmen Personalproblems gar keine andere Wahl hat, als mit Schmutz-Kampagnen und der besagten kulturkämpferischen Attitüde um den Machterhalt zu kämpfen. Fakt ist jedoch, dass die Art und Weise, wie sie Politik macht und den Wahlkampf führt, die gesellschaftlichen Risse noch vertiefen wird.

Eigentlich müsste dieser Wahlkampf, der ja in einer politisch extrem aufgeladenen Zeit stattfindet, auch genauso angemessen politisch geführt werden. Das Weltklima steht vor mehreren Kipp-Punkten, was irreversible Folgen hätte? Okay, dann unterhalten wir uns angemessen oft darüber, wie wir die Katastrophe aufhalten wollen, nämlich jeden Tag! Die Pandemie ist nach eineinhalb Jahren noch nicht vorbei, verschwindet erwiesenermaßen nicht von allein und bildet ständig neue Mutationen aus? Okay, dann lasst uns einen echten politischen Wettstreit über wirklich effektive Lösungen führen! Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer, was wiederum die soziale Spaltung verschärft und damit die Akzeptanz in die Demokratie insgesamt verringert? Alles klar, dann reden wir jetzt mal über Kapitalismus, Umverteilung, Steuerkonzepte. Die extreme Rechte organisiert und bewaffnet sich inzwischen auch innerhalb staatlicher…to be continued.

Lieber Sand ins Getriebe als Sand in den Augen

All das findet aber nur begrenzt statt. Stattdessen wird in einigen Wahlkampfzentralen lieber über die Frage gebrütet, wie sich noch mehr Sand in die Augen der Menschen streuen lässt. Als würde davon auch nur ein einziges real existierendes Problem verschwinden. „Klima schützen, Jobs schaffen“ wird dann ausgerechnet von der Partei plakatiert, die ganze Dörfer für Kohle und Autobahnen wegbaggern lässt und Zehntausende Jobs im Erneuerbare-Energien-Sektor platt gemacht hat. Auf einem anderen Plakat prangt eine falsche Polizistin und der Slogan „Mit Sicherheit“. Sicherheit, für wen? All die nicht-weißen Menschen, die auf den Plakaten nicht vorkommen, aber jeden Tag an Hanau denken müssen, können damit nicht gemeint sein. „Familien stärken“, durch das Aufsichalleingestelltsein in der Pandemie, ohne Impfmöglichkeit für Kinder und ohne Konzepte für eine sichere Beschulung, oder was? Es fällt schwer, angesichts dieses Hohns, dieser Heuchelei und eben dieser leicht zu durchschauenden Strategie des Sandstreu-Wohlfühl-Wahlkampfs noch ruhig zu bleiben. Aber vielleicht sollten wir uns auch gar nicht beruhigen. Vielleicht braucht es mehr Unruhe. Mehr konstruktive Wut. Mehr Sand ins Getriebe. Vielleicht würde das diesen Wahlkampf der kognitiven Dissonanz politisieren und zwar so sehr, dass wir bis zum 26. September über all das reden, diskutieren und streiten, was wirklich wichtig ist. Vielleicht muss einfach auch wieder mehr Druck von der Straße kommen. Vielleicht gibt es dann am Ende auch endlich eine Regierung, die den Ernst der Lage kapiert, ernst nimmt und wirklich lösen will. Man wird doch wohl noch Hoffnung haben dürfen.

Foto: Robert Fietzke

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