07. März 2023
Kolumne von Michael Bittner
Je weniger wir tatsächlich beeinflussen können, was im Krieg gegen die Ukraine geschieht, desto leidenschaftlicher wird in Deutschland ein Stellvertreterkrieg der Meinungen ausgetragen. Das Denken in den Kategorien von Freund und Feind, zugleich Voraussetzung und Ergebnis aller Kriege, kocht über. Es treibt auch Menschen auseinander, die sich bislang persönlich und politisch nahestanden. Vielleicht kann es nicht anders sein, denn dieser abscheuliche Krieg spricht unmittelbar das Gewissen aller Einzelnen an – sofern sie ein Gewissen haben und nicht wie der Neonazi Björn Höcke und seine dummdeutschen Anhänger Putin bei seinem Eroberungskrieg die Daumen drücken, weil er ihr ideologisches Vorbild ist.
Diesseits davon aber gibt es zwei ehrliche Gewissensmotive, die jeden Menschen zugleich umtreiben müssen, der sich nicht einseitig verhärtet hat: zum einen der Wunsch, der Aggressor möge mit seinem Verbrechen keinen Erfolg haben, zum anderen der Wunsch, das Gemetzel auf dem Schlachtfeld möge so schnell wie möglich enden. Gerechtigkeit und Frieden – beide Motive sind redlich, aber es ist nicht abzusehen, wie sie miteinander konkret in Übereinstimmung zu bringen sind. Ich habe Verständnis für alle, die ihren Zwiespalt und ihre Zweifel offen aussprechen. Denn es gibt Fragen, die kaum zu beantworten sind: Wie sollen Verhandlungen einen Frieden bringen, der nicht einfach die Forderungen Putins erfüllt? Wie soll es mit militärischen Mitteln gelingen, die Ukraine dauerhaft zu befreien? Es ist leichter, aus der Pose überlegener Selbstgewissheit andere billig zu denunzieren, wahlweise als „Putinisten“ oder als „Kriegstreiber“, als Antworten auf diese Fragen zu finden.
Mich widern diejenigen an, die über Jahre alle Warnungen vor dem reaktionären russischen Regime als NATO-Propaganda abtaten, nach wenigen Wochen der peinlichen Stille inzwischen aber längst schon wieder zur gewohnten Rechthaberei zurückgefunden haben. Frau Sahra Wagenknecht, die kurz vor Kriegsbeginn noch über alle spottete, die in Putin einen Nationalisten sahen, der gewaltsam Grenzen verschieben will, brachte es nun fertig, auf einer Demonstration, die angeblich dem „Frieden“ galt, über den Kriegsverbrecher Putin kein kritisches Wort zu verlieren. Mich irritieren aber auch jene, die plötzlich kritiklos den „freien Westen“ preisen und ihn bis an die Zähne bewaffnen wollen, als hätte es dessen völkerrechtswidrige Kriege nie gegeben. Mich gruselt’s, wenn ich Sätze wie den von SPD-Chef Lars Klingbeil höre: „Friedenspolitik bedeutet für mich, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen.“
Es gibt in der deutschen Geistesgeschichte die unselige Tradition der goldenen Mitte. Ein Gelehrter schildert gegensätzliche Positionen als Extreme, die beide gleichermaßen falsch seien, nur um am Ende seine eigene Wahrheit als weisen Mittelweg anzupreisen. Ich möchte mich in diese Tradition hier nicht einreihen. Ich weiß es nicht besser als die Leute, die in der Öffentlichkeit über den richtigen Weg aus dem Krieg streiten. Ich habe auch keine Lösung anzubieten, schon weil es keine gute Lösung gibt. Wir haben nicht einmal die Wahl zwischen verschiedenen Übeln, weil die Entscheidungen über diesen Krieg nicht in Deutschland getroffen werden. Wir sollten es dem Krieg wenigstens nicht erlauben, auch noch unsere Köpfe zu erobern, sondern weiter mit allen reden, die das Ziel eines gerechten Friedens teilen.
Foto: Amac Garbe