Der falsche Kampf gegen rechts

Der falsche Kampf gegen rechts

02. November 2021

Kolumne von Michael Bittner

Es war im Jahr 2015, da verkündete in Erfurt der AfD-Neonazi Björn Höcke: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“ Heute kann er triumphieren. Sein Wille wurde erfüllt. An der Außengrenze der Europäischen Union verprügeln polnische Polizisten und Soldaten Flüchtlinge und hetzen Hunde auf sie, jagen schwangere Frauen davon, lassen Kinder im Wald erfrieren. Endlich: Europa ist wieder mannhaft.

Die Mehrheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger schweigt, will von den unangenehmen Ereignissen am Rand des reich gefüllten Tellers nichts mehr erfahren. Die Führung der EU immerhin reagiert auf die Rechtsbrüche, die polnische, griechische und kroatische Grenzwächter täglich begehen: Sie schafft das Recht ab, das dabei im Wege ist. Das Asylrecht ist faktisch außer Kraft gesetzt, das gewaltsame Zurückschlagen von Flüchtenden praktisch legalisiert. Die gleichen Politiker, die sich noch vor wenigen Jahren moralisch himmelhoch über Donald Trump und dessen Pläne zum Mauerbau erhoben hatten, haben sich inzwischen selbst zu Mauermördern erniedrigt.

Und was haben wir getan? Wir haben jahrelang gutgläubig Patschehändchen gehalten mit regierenden Politikern in einem „Kampf gegen rechts“, der sich im Nachhinein als gewaltiges Ablenkungsmanöver herausstellt. Man muss es einmal nüchtern und deutlich sagen: Die AfD hat noch nie einen Menschen abgeschoben. Keinen einzigen. Das waren unsere braven Demokraten. Käme die AfD an die Macht, entstünde die Hölle auf Erden, aber das steht derzeit nicht zu befürchten. Die Angst vor der AfD wird von den Herrschenden seit Jahren dazu missbraucht, sich Zustimmung, zumindest Duldung zu sichern, während tatsächlich viele Forderungen der Rechten ohne großes Aufsehen erfüllt werden.

Was uns Sorgen machen muss, ist nicht das „neue 1933“, von dem der faschistische Ziegenmelker Götz Kubitschek auf seinem Rittergut in Schnellroda träumt. Das wird nicht kommen. Die Gefahr liegt darin, dass die westlichen Demokraten, die sich ohne Unterlass für ihre „Werte“ selbst auf die Schulter klopfen, nach außen hin zu faschistischen Methoden greifen. An der Grenze zu Belarus könnte man die jetzt schon besichtigen, wenn das nicht verboten wäre. Die obszöne Ungleichheit auf der Welt war schon immer nur durch Gewalt aufrecht zu erhalten, in Zeiten wachsender Vernetzung und Mobilisierung rückt diese Gewalt uns aber immer näher. Es gibt nur eine Alternative: Die Ungleichheit wird abgebaut oder sie wird in Festungen eingemauert. Wer gegen die Verewigung der Ungleichheit seine Stimme erheben will, der sollte dabei nicht nur auf der Straße gegen rechte Pappkameraden anschreien, sondern dort protestieren, wo die Mächtigen in ihren Palästen sitzen.

Foto: Amac Garbe

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