Das Impfen wird eine Erfolgsgeschichte

Das Impfen wird eine Erfolgsgeschichte

03. Januar 2021

Kolumne von Ruprecht Polenz

Im März hätten wir uns nicht träumen lassen, dass schon im Dezember mit den Impfungen gegen COVID-19 begonnen werden könnte. Vor Frühjahr 2021 werde es nicht losgehen, hatte das Robert-Koch-Institut im April prognostiziert. Andere waren skeptischer und rechneten mit 2022 oder 2023

Man könnte mit Fug und Recht von einem „Impfwunder“ sprechen. Aber statt sich wenigstens kurz über diesen Erfolg zu freuen, ist jetzt von „Impfdebakel“ und „vollständigem Versagen“ die Rede. Man hätte mehr Impfstoffe von BIONTECH/Pfizer ordern sollen, so wie Trump das gemacht habe. Deutschland hätte den Impfstoff selbst und nicht über die mal wieder zu langsame EU bestellen sollen. Israel und Großbritannien hätten den Impfstoff schneller zugelassen und deshalb eher mit dem Impfen beginnen können als Deutschland – dabei zähle doch jeder Tag.

Der Chefredakteur der Bild-Zeitung hat diese Kritik auf den Punkt gebracht: „Es  gibt seit einem Jahr nur ein Problem, zu dem es nur eine Lösung gibt: impfen. Da hat es nichts mit „Nationalismus“ zu tun, zu erwarten, dass eine der größten Volkswirtschaften der Welt schnellstmöglich genug Impfstoff zur Verfügung hat.“

Andere haben auf den Amtseid der Bundeskanzlerin gem. Artikel 55 GG verwiesen, um diese Forderung zu unterstreichen: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden…werde“. Da sei schließlich vom deutschen Volk und nicht von einem europäischen Volk die Rede.

Germany first – darauf läuft diese Kritik hinaus. Europäische Solidarität? Auch an schwächere Länder denken? – Fehlanzeige. Ich nenne diese Haltung Impf-Nationalismus. Ich finde es richtig, dass Deutschland die Impfstoffe gemeinsam mit allen 27 Mitgliedsstaaten über die EU bestellt und zugelassen hat. Dieses gemeinsame Vorgehen gegen die Pandemie ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem Frühjahr, als Grenzen hastig und unabgestimmt geschlossen wurden und man sich die knappe Schutzkleidung und Masken gegenseitig wegschnappte.

Germany first dient nur scheinbar dem Wohl der Bevölkerung. Wir könnten uns gar nicht so schnell umdrehen, wie aus Germany first ein Germany alone geworden wäre.

Es war ein historischer Moment für die Europäische Union, dass gleichzeitig am 27. Dezember von Helsinki bis Rom, von Lissabon bis Warschau mit dem Impfen begonnen wurde. So vorzugehen war auch gesundheitspolitisch richtig. Denn in einem Europa ohne Grenzen kann man eine Pandemie nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn man das in allen Ländern gleichzeitig macht.

Die jetzigen Erfolge sind natürlich vor allem den beteiligten Forscher:innen zu verdanken. Aber auch die finanzielle Förderung durch die Politik hat daran einen Anteil.

Wenn ein Impfstoff so sehnsüchtig erwartet wird, ist die Ungeduld verständlich, wenn anfangs noch nicht genug davon zur Verfügung steht. Aber ein neuer Impfstoff kann vor der Zulassung nicht auf Halde produziert werden. Es braucht Zeit, die Produktion hochzufahren. Impfstoffe gehören zu den kompliziertesten Arzneimitteln. Deshalb können andere Firmen mit ihren Produktionskapazitäten nicht so ohne weiteres einspringen. Das musste auch die Bildzeitung feststellen, die gefragt hatte: „Braucht Deutschland eine Krisenproduktion?“ Dies hatte der FDP-Politiker Lindner lautstark gefordert. „Das Ergebnis der Bild-Umfrage ist insgesamt ernüchternd. Die von Christian Lindner angesprochenen Kapazitäten scheinen die Pharmaunternehmen nicht zu besitzen“, so das Fazit.

Wie andere Länder auch, hatte die EU nicht allein auf die Impfstoffentwicklung bei BIONTECH/Pfizer gesetzt, sondern mehrere Forschungsprojekte mit zum Teil hohen Beträgen gefördert. Bestandteil der Förderstrategie waren staatliche Zusagen, im Fall einer Zulassung größere Mengen des dann noch zu produzierenden Impfstoffs abzunehmen.
Rückblickend kann man fragen, warum man nicht ausschließlich auf BIONTECH/Pfizer gesetzt habe, deren Impfstoff am Ende als erstes in der EU zugelassen wurde. Aber genau das konnte niemand wissen zu dem Zeitpunkt, als die potentiellen Liefermengen vereinbart wurden. Deshalb hat die EU, wie die USA oder Großbritannien auch, das Risiko dadurch vermindert, dass sie gleichzeitig auf mehrere Pferde gesetzt hat, getreu der alten westfälischen Bauernregel: „Lege nie alle Eier in einen Korb“.

Inzwischen sind weitere Impfstoffe zugelassen, andere stehen kurz davor. Überall werden die Produktionskapazitäten hochgefahren. Dafür sorgt schon der Wettbewerb zwischen den Herstellern, ganz ohne „Kriegswirtschaft“, wie sie vom Spiegel ins Gespräch gebracht worden war.

Das Impfen wird eine Erfolgsgeschichte. Wir haben allen Grund, zu Beginn des neuen Jahres zuversichtlich zu sein, dass wir von Monat zu Monat mehr Impfstoff zur Verfügung haben werden, so dass alle Risikogruppen – das sind bis zu 40 Prozent der Bevölkerung – bis zum Herbst geimpft werden konnten. Nicht alle Länder auf dieser Welt können damit rechnen. Genauer gesagt, die wenigsten.

Vor allem die Menschen in den ärmeren Ländern des globalen Südens werden noch länger warten müssen, manche von ihnen noch drei Jahre, bis auch für sie genügend Impfstoff zur Verfügung steht.
Deshalb ist die Initiative COVAX so wichtig, die von 190 Ländern unterstützt wird. Die Initiative fördert die Forschung an neun möglichen Impfstoffen. Die 98 reicheren Länder bezahlen für ihren Bedarf selbst und unterstützen die 92 ärmeren Länder, die das nicht können.

Die internationale Solidarität über COVAX liegt übrigens auch in unserem eigenen Interesse. Schließlich läßt sich eine weltweite Pandemie und ihre Ansteckungsgefahren nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn man das auch auf der ganzen Welt machen kann.

Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP

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