02. Mai 2023
Kolumne von Michael Bittner
Wie oft wird Politikerinnen und Politikern vorgeworfen, es gehe ihnen nicht um ihre Überzeugungen, sondern nur um die Macht. Ihr Rückgrat sei biegsam wie ein Gartenschlauch, ihr Gedächtnis auf Knopfdruck löschbar, ihre Treue so unwandelbar wie Aprilwetter. Es ist erleichternd und ermutigend zu sehen, wenn sich solche Vorurteile einmal als falsch erweisen wie gerade bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters in Berlin. Die scheidende SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey hat für ihre Überzeugungen freiwillig auf Macht verzichtet. Um zu verhindern, dass in Berlin linke Politik betrieben wird, war sie bereit dazu, ihr Amt Kai Wegner von der CDU zu überlassen und in die zweite Reihe zurückzutreten.
Damit opferte die SPD nicht nur Einfluss in Berlin. Durch die neue Regierung erhält die CDU auch eine Blockademehrheit im Bundesrat. Das kommt wiederum Bundeskanzler Olaf Scholz zugute, der ebenfalls endgültig vor der Zumutung gesichert ist, fortschrittliche Politik zu betreiben. Der Sozialdemokrat hat nicht mehr nur die FDP in der Regierungskoalition, sondern auch die CDU im Bundesrat als Ausrede zur Verfügung, um zu erklären, warum nichts vorangeht. In den kommenden Jahren werden in Deutschland nur noch Gesetze beschlossen, auf die sich eine riesengroße Koalition aus SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU geeinigt hat. Wirkungsvoller kann man der Theorie der AfD, die Republik werde von einem Altparteienkartell regiert, nicht den Anschein von Wahrheit verleihen.
Fast wäre das Berliner Manöver noch im letzten Augenblick gescheitert. Drei Anläufe brauchte Kai Wegner, um zum Bürgermeister gewählt zu werden. Mit dem Mut von Heckenschützen stimmten einige Abgeordnete der künftigen Koalition in der geheimen Wahl zunächst gegen ihn. Vermutlich einige unzufriedene Sozialdemokraten, denen nicht einleuchten will, warum eine Selbstkastration der beste Weg sein soll, um wieder fruchtbar zu werden. Und dazu ein paar Christdemokraten, die Kai Wegner böse sind, weil er einige Posten an Außenseiter statt an Parteisoldaten verteilt hat. Im letzten Wahlgang reichte Wegner eine einfache Mehrheit, die er auch bekam. Für ihn stimmten offenbar auch einige Abgeordnete der AfD. Die Faschisten erklärten sich selbst für wahlentscheidend – eine propagandistische Wichtigtuerei. Mindestens ebenso verlogen aber war die nachträgliche Behauptung der SPD-Chefs, der Hochstaplerin Franziska Giffey und des Dünnbrettbohrers Raed Saleh, die 86 Abgeordneten der Koalition hätten im dritten Wahlgang geschlossen für Wegner gestimmt.
Der Skandal ist nicht die Wahl des Kandidaten, sondern der gewählte Kandidat: Der neue Bürgermeister der Hauptstadt Berlin, die sich so gerne als Weltmetropole ausgibt, ist ein piefiger Provinzhetzer, der die Seenotretter auf dem Mittelmeer als „Schlepperhelfer“ und „Taxidienste“ verunglimpft hat. Gemeinsam mit seinen Lakaien von der SPD wird Kai Wegner sich vor allem darum kümmern, den erfolgreichen Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen weiter zu sabotieren. Da bleibt nur eine Hoffnung: Vielleicht erledigt sich das Problem des Wohnungsmangels in Berlin von alleine, wenn diese neue Regierung abschreckend genug wirkt.
Foto: Amac Garbe