03. Oktober 2021
Kolumne von Ruprecht Polenz
Der Wahlkampf ist zu Ende. Die Stimmen sind ausgezählt. Siege und Niederlagen stehen fest. SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP sondieren, ob es genug Gemeinsamkeiten für eine Ampel-Koalition gibt. Die Union wartet nach ihren großen Stimmenverlusten ab, ob sie nicht vielleicht doch noch für Jamaika gebraucht wird. Die Zeit bis dahin verbringt sie mit Wunden lecken und allerlei innerparteilichem Streit.
Ich möchte als früherer Außenpolitiker auf zwei Punkte hinweisen, zu denen ich im Koalitionsvertrag für die nächsten vier Jahre gern etwas lesen möchte, denn leider sind dazu von den Parteien im Wahlkampf kaum konkrete Aussagen gemacht worden.
Außenpolitik hat in den drei Triellen praktisch keine Rolle gespielt, obwohl sich Deutschland und Europa in den kommenden Jahren neu positionieren müssen. Man wüßte gern, in welche Richtung es gehen soll.
Wir haben gesehen, wie sich die USA praktisch im Alleingang aus Afghanistan verabschiedet haben, so schnell, dass die Verbündeten mit ihrem Truppenabzug kaum hinterherkamen. Einige haben vielleicht auch verfolgt, wie Frankreich bei dem U-Boot-Geschäft mit Australien ausgebootet wurde. Die USA fokussieren sich immer mehr auf ihren Wettbewerb mit China. Deshalb stärken sie Australien mit der Lieferung nuklear angetriebener U-Boote.
Wir müssen uns auf eine Welt einstellen, die vor allem von den Beziehungen zwischen den USA und China geprägt sein wird. Eher G2-Gespräche als G7-Absprachen, eher bi- als multipolar.
Der amerikanische Außenminister Blinken beschreibt die künftigen Beziehungen seines Landes zu China so: „Es gibt Aspekte, bei denen eine Gegnerschaft besteht; andere, bei denen wir im Wettbewerb stehen mit China, und andere Bereiche, auf denen wir miteinander kooperieren.“
Deutschland und die EU müssen sich darauf einstellen. Vor allem wird es darum gehen, die Einteilung in die drei Kategorien möglichst gemeinsam und in Übereinstimmung mit den USA zu definieren. Dazu muss die EU aber bereit sein, sich als globaler Akteur zu verstehen, über reine Wirtschafts- und Handelsfragen hinaus.
Deutschland kommt auf diesem Weg zu einer „ever closer union“, wie es in den EU-Verträgen heißt, eine besondere Mit-Führunsrolle zu. Wie Deutschland diese ausüben will, was unser Land dafür einbringen soll – darüber würde ich gern Genaueres im Koalitionsvertrag lesen, der das Handeln unserer neuen Regierung bestimmen wird.
Auch Klimaschutz hat eine außenpolitische Dimension, über die wir viel zu selten sprechen. Hinweise darauf werden schnell mit dem Argument zurückgewiesen, man wolle nur ablenken und in Deutschland nicht das Notwendige tun.
Ich hoffe, dass der Koalitionsvertrag als Ausgangspunkt ein CO2-Budget für Deutschland definiert, das uns insgesamt noch zur Verfügung steht. Daraus ergibt sich dann ein Zeitplan, bis zu dem Deutschland klimaneutral sein muss, und die Maßnahmen, mit denen man das erreichen will. Auf so einen konkreten „Fahrplan“ sollte sich die künftige Regierung verständigt haben.
Würde das dann alles umgesetzt, wären zu einem Zeitpunkt X immerhin 2 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emmissionen verschwunden. Das ist der Anteil des weltweiten CO2-Ausstoßes, für den Deutschland unmittelbar verantwortlich ist.
Da global 2 Prozent CO2-Einsparung ersichtlich nicht genug sind, um die Erhitzung der Erde um drei, vier oder fünf Grad zu vermeiden, sollte noch mehr zu Klimaschutz im Koalitionsvertrag stehen.
Wir brauchen eine Politik, die auch andere Länder dazu bringt, Klimaschutz wirklich ernst zu nehmen, und entsprechend zu handeln. Mit anderen Worten: wir brauchen eine Klima-Außenpolitik.
Ein Beispiel dazu: Es reicht nicht aus, das Abholzen der Amazonas-Regenwälder wortreich zu bedauern und die schlimmen Folgen für das Weltklima an die Wand zu malen. Wir müssen etwas TUN, um den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro dazu zu bringen, die Regenwälder im Interesse des Weltklimas zu schützen.
Deutschland könnte beispielsweise anbieten, sich finanziell am Erhalt dieser „grünen Lunge der Welt“ zu beteiligen. Man könnte auch Sanktionen androhen, deren wirtschaftliche Folgen für Brasilien die Höhe der kurzfristigen Erträge übersteigen, die sich aus dem Abholzen ergeben. Man kann beide Punkte in einer Klima-Außenpolitik miteinander verbinden. Und Deutschland könnte versuchen, die EU zu einer solchen Politik zu bringen, und damit deren Hebelwirkung deutlich erhöhen.
Ich hoffe, dass Außenpolitik im nächsten Koalitionsvertrag nicht genauso stiefmütterlich behandelt wird, wie im Wahlkampf. Auch Flüchtlingspolitik sollte angesprochen werden mit konkreten Vorschlägen, wie das Elend an den europäischen Außengrenzen beendet werden soll. So, dass Europa in Einklang kommt mit seinen humanitären Verpflichtungen und seinen Werten. Ich bin auf den nächsten Koalitionsvertrag gespannt.
Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP