Johannes vor der RISE ABOVE von MISSION LIFELINE

„Mir war es wichtig zu erzählen, was alles dahintersteckt.”

„Mir war es wichtig zu erzählen, was alles dahintersteckt.”

03. März 2023

Im Gespräch mit Johannes Räbel über seinen Einsatz auf der 7. Mission der RISE ABOVE

Audio zum Interview

Am 24. Dezember 2022 beendete die RISE ABOVE erfolgreich ihre 7. Mission. Über 80 Menschen konnten gerettet und sicher an Land gebracht werden. Johannes Räbel war Teil der Crew und dokumentierte als Medienverantwortlicher den Einsatz fotografisch. Im Gespräch erzählt er, welcher Aufwand hinter so einer Mission steckt, wie er den Einsatz empfunden hat und welche Eindrücke ihm besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Johannes, du hast mir bereits verraten, dass du der „Medienmensch“ auf der letzten Mission warst. Was bedeutet das? 

Medienmensch zu sein bedeutet, Teil der Crew zu sein, ganz viel zu fotografieren und die komplette Medienarbeit direkt von Bord aus zu machen. Das bedeutet auch, dass ich alle Trainings und Vorbereitungen mitgemacht und dokumentiert habe. Es gibt grundsätzlich zwei Aufgabenbereiche. Einmal die Dokumentation von dem, was passiert als Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Also der mediale Teil, der gesehen wird. Und dann gibt es den internen Teil, bei dem dokumentiert wird, welche Akteure sonst noch auf dem Mittelmeer unterwegs sind ‒ etwa die libysche oder italienische Küstenwache, Aufklärungsflugzeuge oder andere Akteure in der Seenotrettung. Das ist für die weitere Auswertung wichtig.

Deine Bilder nehmen einen mit auf die Mission und erzählen die komplette Geschichte – von den ersten Vorbereitungen bis hin zur Ankunft im sicheren Hafen und darüber hinaus. Wie war es für dich ein Teil der Crew zu sein und diese Geschichte zu erzählen?

Dadurch, dass wir eine so tolle Crew waren, war es eine intensive, aber auch sehr schöne Zeit. Wir trainierten viel und am Ende funktionierte einfach alles. Mir war es wichtig zu erzählen, was alles dahintersteckt. Zu zeigen, welcher Organisationaufwand nötig ist, um so ein Schiff auf Mission zu schicken ‒ auch wenn es so klein ist. Und natürlich wollte ich auch davon berichten, dass 100 % Vollgas gegeben wird, um Menschen aus lebensgefährlichen Situationen rauszuholen. 

Wurdet ihr im Zeitraum eurer Mission bereits mit den Auswirkungen des neuen Dekrets der italienischen Regierung konfrontiert, welches die zivile Seenotrettung behindert?

Es war gerade im Umbruch. Wir haben aber schon gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Unsere erste Rettung hatten wir vor der libyschen Küste und wir standen mit der Sea Eye 4, die in der Nähe war, in Kontakt. Wir verständigten uns darauf, dass wir die Menschen sichern und sie im Anschluss an die Sea Eye 4 übergeben. Diese hat dann den Hafen in Livorno zugeteilt bekommen – das ist bei Pisa und war etwa vier Tage Fahrt entfernt! So etwas ist richtig anstrengend für die Gäste, es verschlingt Unmengen an Zeit und Geld und entfernt die Rettungskapazitäten aus dem Mittelmeer. Es wurde schließlich immer deutlicher, worauf Rom hinaus wollte und wir wussten, dass es auch uns irgendwann treffen wird. Man wird uns zwar nicht vor irgendwelchen Häfen hängen lassen, aber man wird uns sagen: Ihr bekommt einen sicheren Hafen, kein Problem. Der ist nur 5 Tagesreisen entfernt.
Dabei ist es doch sowieso schon schwer genug für alle Beteiligten…
Es ist bescheiden für alle Akteure. Nur die Herrschaften von der Bootstankstelle freuen sich, da sie sehr viel Diesel verkaufen können.

Du hast erzählt, dass die Crew super war, und ich finde das sieht man auch auf deinen Fotos. Aus wem besteht denn die Crew der RISE ABOVE?

Die Crew besteht aus neun Leuten – mehr passt einfach nicht. Es gibt einen Kapitän, den ersten Offizier und den zweiten Offizier. Das war in dem Fall Clemens von Mission Lifeline, der zudem Head of Mission war. Weiter gibt es den Maschinisten, der dafür zuständig ist, dass unsere alte Dame, die RISE ABOVE, weiterfährt. Außerdem unseren Rib-Fahrer, der für das Beiboot Lifeline 3 verantwortlich ist, zwei Ärztinnen für die medizinische Versorgung und unseren Koch, der in der kleinen Kombüse Essen für neun bis 90 Personen zubereitet. Und eben mich als Medienmensch und Mädchen für alles.
So hatte auf der Mission jede:r von uns eine feste Position und je nach Manöver noch zusätzliche Aufgaben. Wobei ich immer ein bisschen außen vor war, weil ich die Manöver fotografiert habe und zudem die einzige Person war, die noch nie auf See gefahren ist. Der Rest der Crew war sehr erfahren.

Was geschieht an Bord vor einer Rettung?

Wenn ein Notruf reinkommt, wird als erstes unser Head of Mission benachrichtigt. Dann wird die RISE ABOVE beschleunigt und auf Kurs gebracht. Ein bis zwei Stunden bevor wir das Ziel erreichen, werden alle Leute der Crew wachgemacht und auf den Einsatz vorbereitet. Dann wird alles scharf gemacht und darauf geachtet, dass die Crew gut versorgt ist, weil solche Einsätze sehr lange dauern können. Einer unserer Einsätze zog sich von morgens Sonnenaufgang bis abends Sonnenuntergang. Wenn da nicht genug gegessen wird, lässt die Energie und Konzentration nach.

Und wie läuft anschließend eine Rettung ab? Ich kann es mir kaum vorstellen, wie es sein muss, plötzlich mitten auf dem Meer ein Boot mit Menschen in Seenot zu sichten…

Das Boot zu sichten ist zunächst ein Glücksmoment. Man muss sich vorstellen, dass wir mehrere Stunden mit Ferngläsern in der Hand auf Deck sitzen und den Horizont absuchen. Wir entdecken dabei Müll, der im Wasser schwimmt und denken „hoffentlich war das nichts, was einmal zu einem Boot gehört hat“. Es ist daher erstmal eine große Erleichterung, wenn wir unser Ziel finden und die Menschen nun nicht mehr in akutester Lebensgefahr sind. Wir fahren anschließend mit dem Rib vor, nehmen Kontakt mit den Menschen auf und prüfen, dass es ihnen halbwegs gut geht. Wir machen eine Bestandsaufnahme. Es herrscht dabei immer eine große Aufregung und es ist die Aufgabe der Kommunikatorin ‒ das war eine unserer Ärztinnen ‒ die Menschen über die nächsten Schritte zu informieren. Es werden Rettungswesten ausgegeben und die Leute werden langsam abgeborgen und an Bord der RISE ABOVE gebracht.
Insgesamt war es viel Arbeit und es geschahen viele unerwartete Dinge. Wir haben Menschen an Bord genommen, die sofort in Ohnmacht gefallen sind. Eine ältere syrische Frau, kippte einfach nach vorne um und blieb liegen. Sie war so schwach. Wir brauchten drei Leute, um sie wieder in eine stabile Position zu bekommen.

Aber im Großen und Ganzen ist alles gut gegangen bei eurer Mission?

Ja, es ist zum Glück alles gut gegangen und wir hatten keine Menschen im Wasser. Denn das ist sicherlich das Schlimmste, was passieren kann. Eine wichtige Sache ist auch, dass man sich um Kinder und junge Menschen kümmern muss. Sei es mit Babynahrung oder durch beruhigende Worte. Die Kinder zu beruhigen ist ein wichtiger und harter Job während eines Rettungseinsatzes.
Da braucht man definitiv starke Nerven, denke ich mir…
Auf jedenfall. Man braucht extrem viel Empathie und muss sich trotzdem um alles kümmern. Denn auch an Bord der RISE ABOVE ist die Aufregung groß. Menschliche Grundbedürfnisse müssen wahrgenommen werden. Die Menschen müssen beispielsweise auf die Toilette. Und irgendwann wollen sie einfach nur schlafen. Sie bekommen Decken und eine warme Mahlzeit von uns ‒und dann wird erstmal geschlafen. Die Leute sind extrem erschöpft und sie werden in der Zeit, in der wir versuchen einen sicheren Hafen zu bekommen, so gut es geht aufgepäppelt.

Welche Erfahrung oder welches Bild ist dir während der Rettung besonders im Gedächtnis geblieben?

Es gibt eine Handvoll Bilder, die ich sehr schön finde, weil sie sehr treffend sind. Bei einem Bild wird ein anderthalbjähriges Kind – etwa im gleichen Alter wie mein Patenkind ‒ von einem dieser seeuntauglichen Boote rüber zur Lifeline 3 gehalten. Ein so kleines Kind auf dem offenen Meer und in jede Richtung mindestens 130 km Wasser… Und dann gibt es Bilder von Gesprächen mit geretteten Jugendlichen, die sagten: „Da ist Italien, das ist so nah. Ich will doch nur in die Schule gehen. Mehr will ich doch gar nicht.“. Genau das erhoffe ich mir für sie am Ende des Tages.

Du wirst auf der nächsten Mission im April auch wieder mit dabei sein. Was treibt dich an?

Meine Geschichte bei Mission Lifeline begann bereits vor drei Jahren. Ich hatte mich damals freiwillig gemeldet, weil ich selbstständig bin und eine off-Saison habe, in der ich Zeit habe zu helfen. Damals fragte mich das Crewing, ob ich Hafenwache machen kann. So bin ich bei Mission Lifeline gelandet. Später war ich dann auch bei ein paar Einsätzen in der Ukraine mit dabei. Irgendwann wurde ich gefragt, wann ich denn mal mit auf Mission fahren würde ‒ und da ich im Winter Zeit hatte, wurde ich Teil der Crew. Meine Buchungslage ist in den kommenden Monaten noch nicht so hoch, weshalb ich mich entschieden habe, nochmal mitzufahren. Denn es war eine gute Sache und jetzt weiß ich auch wie es läuft. Und am Ende kann ich sagen, dass ich getan habe, was ich tun konnte.

Gibt es noch etwas, was du loswerden und den Menschen mit auf den Weg geben möchtest?

Einmal möchte ich der Land-Crew und dem Büro für ihre tolle Arbeit danken. Für die Struktur, die geschaffen wird, damit wir rausfahren können. Außerdem möchte ich noch sagen: Es gibt viele Krisen. Aber am Ende darf man sich nicht von allen Dingen verrückt machen lassen, die auf der Welt passieren. Ich glaube, es ist wichtig, sich auf ein oder zwei kleine Dinge zu fokussieren, für die man Zeit und Energie hat, um sie zum Positiven zu verändern. Wenn das jeder macht, wird die Welt ein sehr viel netterer Ort.

Das Gespräch führte Kathi Happel

Foto: Johannes Räbel

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