13. Mai 2021
Kolumne von Felix M. Steiner
Schon wieder sind vier Wochen vergangen seit der letzten Kolumne und wie immer ist viel passiert. Das Positive zuerst: Die Inzidenz-Werte der Corona-Infektionen scheinen langsam zu sinken und die Zahl geimpfter Menschen steigt immer weiter an. Licht am Ende des Tunnels? Hoffen wir es. Die steigende Impfquote war allerdings dieser Tagen nicht für alle eine Freude. Der Verschwörungsideologe Oliver Janich hatte in einem seiner Videos so etwas wie einen kleinen Zusammenbruch, zumindest gab es Tränen und Fassungslosigkeit, denn: Mama Janich lässt sich impfen. „Liebe Mama, ich liebe dich, bitte wach endlich auf!“, posaunte Janich weinerlich die Liebeserklärung eines Verschwörungsgläubigen in die Kamera. Und Glaube scheint es ganz gut zu treffen, so gibt er doch seiner Familie gleich noch den Erlösungswunsch mit auf den Weg: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“!
#OliverJanich hat in eine Video gestern seine Familie angesprochen und dabei geweint: Seine Mutter lässt sich impfen. Und bezeichnet ihn als Verschwörungstheoretiker.
Wie ihm geht es derzeit vielen Verschwörungsideolog:innen. Ein kurzer Thread 1/8: pic.twitter.com/xkXbl0Omnr
— Josef Holnburger (@holnburger) May 10, 2021
Denn eines ist für Janich natürlich klar, wer nicht seiner Meinung ist, liegt falsch. Ein unerschütterliches Weltbild, nicht mal nach dem offensichtlichen Bruch mit der eigenen Familie. Oder in Janichs lächerlich überheblicher Art: „Sie denken, dass sie selber denken, aber sie denken nicht selber“. Irgendwie hatte ich nach dem Video direkt den alten Juliane Werding Klassiker Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst im Kopf. Und gewiss waren die Worte, die damals 1975 Gunter Gabriel für Werding aufschrieb, nicht an Janich und dessen Mutter gerichtet, aber sie scheinen über 45 Jahre später vielleicht doch zu passen:
„Doch ich weiß, was ich will, drum lach nur über mich Denn am Ende lache ich über dich
Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst Ein Mädchen kann das nicht“
Und irgendwie hat Janichs Familie sich dann entschieden doch selbst zu denken, zumindest schrieb der ehemalige Journalist, er hätte „keine Ruhe gegeben“ und seine Familie mit „wissenschaftlichen Fakten“ versorgt. Und die? Die undankbaren Schlafschafe haben „mir jetzt empfohlen mich zu verpissen und mal zum Psychiater zu gehen“, schreibt er weiter. Mama ist also doch die Beste, auch bei Familie Janich.
Neben der kleinen Anekdote aus dem Boulevard-Kosmos der Verschwörungsideologen scheint sich die Szene aber auch immer weiter zu radikalisieren. „Ganz normale Leute“ lassen ihren Aggressionen weiter freien Lauf. Zuletzt durfte dies immer häufiger auch die Polizei erfahren. So bleibt es mittlerweile nicht mehr bei kruden Beschimpfungen, sondern in der Weltwahrnehmung, dass man ihnen nicht nur demnächst 5G im Auftrag von Bill Gates verpassen will, sondern auch mitten in der Errichtung einer Diktatur sei, drehen die Querdenker weiter ab. Sowohl im Thüringischen Schmalkalden als nun auch in Zwönitz im Erzgebirge griffen Demonstranten Polizist:innen an und versuchten sich quasi an der Gefangenenbefreiung ihrer „Artgenoss:innen“.
In #Zwönitz kam es am Montag zu Gewaltszenen des Bürgerlichen und rechten Spektrums. #Erzgebirge #coronaSN pic.twitter.com/eRZA2I0rHh
— melo (@melospotter) May 10, 2021
Die Vorfälle in Thüringen und Sachsen lassen eine unheimliche Aggression dieser sogenannten Mitte der Gesellschaft erkennen. Neonazis schwimmen in diesen Aufzügen mittlerweile mit wie die Fische im Wasser. Was von Mao stammt und Neonazis sich für ihr Konzept der „(national) befreiten Zonen“ schon Anfang der 1990er-Jahre wünschten, scheint sich nun in dieser Mischszene aus Demokratie- und Menschenfeind:innen zu verwirklichen. Wie diese Radikalisierungsdynamiken sich nun mit steigenden Impfzahlen und dem wachsenden Druck sowie dem immer weiter nicht eintretenden Folgen der angeblichen großen Verschwörungen entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Für Teile dieser Bewegung, die quasi ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet haben, ist ein Ende der Radikalisierungstendenzen noch lange nicht abzusehen.
Foto: Felix M. Steiner