06. Juli 2021
Kolumne von Michael Bittner
Der gegenwärtige Wahlkampf sei, so kann man derzeit mancherorts lesen, außergewöhnlich schmutzig und brutal. Ich glaube, wer diesen Eindruck hat, der empfand auch den Montessori-Kindergarten als Straflager. Zumindest muss man ein sehr eingeschränktes Gedächtnis haben, um zu einem solchen Urteil zu kommen. Im Vergleich zu vergangenen Zeiten geht’s derzeit eher kreuzbrav und verschnarcht zu.
Wenn an diesem Bundestagswahlkampf etwas ungewöhnlich ist, dann der miserable Zustand, in dem sich gleichzeitig fast alle Parteien befinden. Die Grünen haben mit Annalena Baerbock eine Frau zur Spitzenkandidatin gemacht, die nun über ihre eigenen Ungeschicklichkeiten stolpert. Mit rührendem Eifer versichern ihre Fans, die Angriffe auf ihre Heldin seien beispiellos unfair. Aber, unter uns gesagt: Sie muss nichts Schlimmeres aushalten als jeder andere Mensch, der nach der politischen Macht verlangt. Und mit den leichtsinnigen Versuchen, sich in ihrem Lebenslauf und ihrem Buch schlauer und origineller zu präsentieren, als sie wirklich ist, hat Frau Baerbock sich den Ärger selbst eingehandelt, auch wenn sie gewiss keine Hochstaplerin vom Kaliber eines Guttenberg oder einer Giffey ist. „Die Klimakatastrophe naht und wir diskutieren über Fußnoten!“, wehklagen ihre Verteidiger. Aber es ist schon ein bisschen billig, gleich die Apokalypse zu Hilfe zu rufen, um Kritik an persönlichen Fehlern zu überspielen.
Die CDU taumelt derweil nach dem Abschied von Angela Merkel orientierungslos umher. Sie hat nach quälendem Streit einen ungeliebten Kompromisskandidaten namens Armin Laschet zum Chef gewählt und als Kanzlerkandidaten durchgesetzt, der niemanden begeistert. Laschet ist nicht nur ein geistiger Dünnbrettbohrer, sogar als Politiker taugt er nichts, den Aufstieg zur Macht in Nordrhein-Westfalen verdankt er allein der Schwäche der Hannelore-Kraftlos-SPD. Nun führt ein öder Typ eine ausgelaugte Dauerregierungspartei mit nichtssagenden Slogans in den politischen Kampf. Und die CDU liegt trotzdem immer noch vorn. In Deutschland wird nämlich traditionell immer die CDU an die Regierung gewählt, nur ausnahmsweise auch mal eine andere Partei, die zuvor die Deutschen davon überzeugt hat, dass sie nicht sehr anders als die CDU regieren wird.
Was soll man über die weiteren Splitterparteien sagen? Die SPD hatte den Einfall, noch einmal mit einem Kandidaten aus dem letzten Aufgebot der Schröderianer in den Wahlkampf zu ziehen, nachdem das schon bei Steinmeier, Steinbrück und Schulz so glänzend gelungen war. Die Linkspartei leidet unter der kleinen Schwierigkeit, tatsächlich aus zwei Parteien zu bestehen, die sich wechselseitig absprechen, wirklich links zu sein. Ihre populärste Politikerin, Sahra Wagenknecht, macht Wahlkampf vor allem für sich selbst und gegen das Programm der Partei, der sie vorläufig noch angehört. Nur über die FDP lässt sich nichts Nachteiliges sagen, abgesehen davon, dass es sich bei ihr um die FDP handelt.
Es gäbe wahrlich epochale Themen, über die debattiert werden müsste: die Klimakrise und die gewaltigen Fluchtbewegungen, die sie wahrscheinlich auslösen wird; die schon jetzt obszöne und immer noch wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich; die Alterung der Gesellschaft und unsere Unfähigkeit, damit umzugehen. Überall wären radikale Antworten gefragt, aber niemand hat recht Lust, die satten und ängstlichen Wählerinnen und Wähler in Deutschland zu verschrecken. Außerdem wollen die Parteien einander im Streit auch nicht allzu wehe tun, der Gegner von heute wird ja sehr wahrscheinlich der Koalitionspartner von morgen sein. Am Ende könnte das Schrecklichste passieren: Als einziges Thema übrig bleibt die AfD, die sich einmal mehr über die allgemeine Aufmerksamkeit freut.
Foto: Amac Garbe