10. Februar 2022
Kolumne von Felix M. Steiner
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie habe ich immer das Gefühl in einer Zeitschleife festzuhängen: Wenige neue Nachrichten, ab und zu mal eine neue Mutation und immer wieder politische Fehlentscheidungen. Man fühlt sich ein wenig wie Phil Connors (Bill Murray) der 1993 in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ immer wieder den gleichen Tag erleben musste. Das was wir nun mit Corona erleben, erlebt die AfD oder besser die Berichterstattung über die AfD schon seit ihrer Gründung 2013: Jedes Jahr wieder eine Radikalisierung. Wie lange kann man sich eigentlich radikalisieren, gibt’s da nicht auch mal ein Ende? So eine Art Maximaltemperatur der Radikalisierung? Oder radikalisiert sich die Partei vielleicht gar nicht und hat nur mal wieder eine alte Hundekrawatte entsorgt? Mit Jörg Meuthen gab nun in der rund 9-jährigen Parteigeschichte der dritte ehemalige Sprecher der Partei seinen Austritt bekannt. Kennt noch jemand Bernd Lucke und Frauke Petry oder habe ich noch jemanden vergessen? Bernd Lucke heißt übrigens wirklich Bernd. Und wieder wird mehr oder weniger die gleiche Erzählung präsentiert wie schon bei den Vorgänger:innen Meuthens: Die Partei habe sich in eine Richtung entwickelt, die man nicht mehr mittragen könne und sei zu weit nach rechts gerückt. Oder mit Meuthens Worten: Er sei ein „Feldherr ohne Truppe geworden“ und es habe sich in der Partei (ACHTUNG!!!!!) eine „Akzentverschiebung“ ergeben, die er nicht mehr mittragen wolle. An der Stelle musste ich besonders lachen. Aber immerhin, Meuthen attestiert der Partei nun „totalitäre Anklänge“ und seine Entscheidung sei „lange gereift“. Da fragt man sich natürlich, wie lange Meuthens Entscheidung gereift ist. Ob dieser Reifeprozess schon begonnen hat, als er vor einem halben Jahrzehnt bereits als Redner bei den Kyffhäusertreffen des Flügels auftrat? Oder war das noch zu subtil? Oder waren es doch die rassistischen oder geschichtsrevisionistischen Reden von Bernd Höcke, wie 2015 in Schnellroda oder 2017 in Dresden? Nein, ich denke, das können nicht die Anlässe gewesen sein. Denn immerhin hat Meuthen ja eine ihm hoch anzurechnende Eigenschaft: Er betrachtet die Dinge nicht nur von außen, um sich eine Meinung zu bilden. Also war es vielleicht nichts von all dem Aufgeführten, was ihn zu der Überzeugung brachte, die AfD könnte zu weit rechts sein. Vielleicht war es vielmehr seine Rede 2018 in der Schaltzentrale der Antidemokraten in Schnellroda, bei der er sich als Redner nochmal genau anschauen wollte, wie rechts denn diese Rechten eigentlich sind. Aber wahrscheinlich war es auch nicht Meuthens Rede in Schnellroda 2018, denn immerhin attestierte er ja im Juli 2021 Flügel-Leuten wie Höcke: „Die vertreten Positionen, die meine nicht sind, aber es sind keine Extremisten.“ Mir scheint vielmehr, als sind es wohl eher nicht die zu rechten Positionen seiner ehemaligen AfD-Kameraden, die Meuthen zum Austritt bewegten, sondern ganz realpolitische Entwicklungen, die er ja auch selbst einräumt: Er hat den innerparteilichen Machtkampf mit dem Flügel verloren. Bühne frei für die paar Talkshowauftritte, die nun bestürzt folgen und dann auf in die politische Bedeutungslosigkeit. Die Chancen für diesen Weg stehen zumindest gut.
Foto: Felix M. Steiner