15. Januar 2022
Von Matthias Meisner
Es sind bedrückende Nachrichten aus Dresden und leider spielt auch die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine unrühmliche Rolle. Am Donnerstagabend haben sich am Uniklinikum in der Landeshauptstadt Medizin-Student:innen mutig dem Aufmarsch von „Querdenker:innen“ und Rechtsextremen entgegengestellt. In medizinischen Kitteln und selbstverständlich mit Masken beschützten sie das Krankenhaus, auf Plakaten hieß es: „Impfen statt Schimpfen“ oder „Doktorhut statt Aluhut“. Die Polizei Sachsen kesselte die Studierenden, leitete 22 Ordnungswidrigkeitsverfahren ein. Der Vorwurf: Verstoß gegen die sächsische Corona-Notfall-Verordnung. Dass auch eine angebliche Uniformierung der Protestierenden thematisiert wurde, wie diese berichten, bestreitet die Polizei. Was ein Wahnsinn.
„Ich bin fertsch. Echt“, twittert eine Studentin, erschüttert, dass „hier so mit dem Mut und der Zivilcourage von denjenigen umgegangen wird, die in vier bis fünf Jahren den Laden hier weiter am Laufen halten sollen“. Das Hashtag #sogehtsächsisch fehlt, auch wenn es mal wieder ganz gut passen würde.
Es ist aber auch nicht nur eine sächsische Angelegenheit, wie sich aktuell in der Coronakrise die Zivilgesellschaft den immer radikaleren Demonstrationen von Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen entgegenstellt. Protesten, die nicht selten in Gewalt umschlagen. Wie kann der Gegenprotest präsenter werden? Die neue Bundesinnenministerin, die die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu ihrem wichtigsten Ziel erklärt hat, hätte hier eine Aufgabe.
Stattdessen fällt die Sozialdemokratin mit mehreren äußerst unglücklichen Äußerungen auf. Erst am Morgen des kreativen Protests der Studierenden am Dresdner Uniklinikum war sie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk auf den Widerstand gegen Querdenken & Co. eingegangen: „Es macht es den Sicherheitsbehörden nicht leichter.“ Ob sie nicht die Menschen, die Mehrheit im Lande, aufrufen wolle, sich beim Gegenprotest zu zeigen, fragt der Moderator nach. Faeser wiederholt: „Nein, das tue ich bewusst nicht, (…) niemals“, es würde „die Lage insgesamt noch verkomplizieren“. Hat sie das bei ihrem Besuch im Lagezentrum der Dresdner Polizei gelernt?
Die neue Bundesregierung ist erst einen Monat im Amt, aber sie sollte nach 22 Monaten Pandemie dennoch präsent haben, wie ernst die Bedrohung der Demokratie durch das Spektrum der „Querdenker“-Szene ist. An dieser Erkenntnis der Regierenden gibt es Zweifel. Ebenfalls Faeser war es, die schon vor ein paar Tagen einem großen Teil der Menschen, die gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ auf die Straße gehen und dies als „Spaziergang“ deklarieren, einen Freibrief ausstellte. In einem Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio sagte sie über die oft nicht angemeldeten und damit illegalen Proteste: „Wir müssen sehr genau differenzieren, wer ist von den Demonstrationsteilnehmern dort radikal unterwegs.“ Zur Antwort gab sie: „Das ist nur eine ganz kleine Minderheit.“
Bedrohungen und Gewalt seien nicht hinzunehmen, aber „natürlich ist Kritik in einer Demokratie immer sehr erwünscht“. Dazu bereitete die SPD-Politikerin der Querdenken-Szene ein Dialogangebot: „Man muss auch nach wie vor gesprächsbereit sein und mit den Menschen darüber diskutieren, warum sie eine andere Meinung haben.“ Liebe Frau Faeser: Nichts gelernt aus dem Umgang mit der rassistischen Pegida-Bewegung, bei der staatlich organisierte Dialogformate nicht haben aufhalten können, dass „besorgte Bürger“ immer weiter hetzen, jedes Gespräch als Aufwertung betrachten. Da war selbst Sigmar Gabriel mit seinem Wort vom „Pack“ über den gewalttätigen Mob 2015 vor der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau schon weiter.
Es würde für erste schon genügen, wenn sich Faeser im Kreis ihrer Genoss:innen mal umhören würde. Die neue Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan erinnert in einem klugen Interview in der „Zeit“ an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, das sich im Sommer zum 30. Mal jährt: „Wir dürfen nicht vergessen, wie viele Menschen damals mitgemacht und nichts gegen die Gewalt getan haben.“
Pia Heine, Vorsitzende der SPD Leipzig-Mitte, wundert sich, dass Faeser nur einen sehr kleinen Teil der Corona-Demonstrant:innen als radikal verortet: „Wow, was für ein enttäuschendes Statement. Diese ,ganz kleine Minderheit‘ fühlt sich hier in #Sachsen sehr bedrohlich an, und das nicht erst heute. @NancyFaeser, sprich doch mal mit zivilgesellschaftlichen Initiativen in Sachsen, vielleicht korrigiert das deine Einschätzung“, twitterte sie. Andere betonen den „kollektiven Rechtsbruch“, der bei den angeblichen „Spaziergängen“ zu erleben ist. Oder fühlen sich zurecht an die #Baseballschlägerjahre Anfang der 90er Jahre erinnert.
Die Bundesinnenministerin muss ohne Wenn und Aber eine Zivilgesellschaft unterstützen, die Flagge zeigt gegen die als „Spaziergänger“ getarnten Rechtsextremen und deren Mitläufer:innen. Die Medizin-Studierenden aus Dresden haben statt eines Ordnungswidrigkeitsverfahren Lob verdient. Solidarität ist das Gebot der Stunde, Egoismus keine Meinung. Corona-Verharmloser:innen, Impfskeptiker:innen und Maßnahmen-Kritiker:innen gibt es auch in anderen demokratischen Parteien zur Genüge, von Sahra Wagenknecht bis Friedrich Merz. Nancy Faeser muss sich nicht als „Seehofer light“ einreihen.