Rassismus in Grün

Rassismus in Grün

02. August 2022

Kolumne von Michael Bittner

Warum haben sich in den vergangenen Jahren in Deutschland, aber auch weltweit, so viele Menschen von reaktionärer Propaganda einwickeln lassen? Warum begeistern sich so viele für menschenfeindliche Bewegungen? Müsste der sprühende Hass der Demagogen nicht alle halbwegs vernünftigen Menschen abschrecken? Die Antwort auf diese Fragen lautet wohl: Die Rechten, die derzeit an so vielen Orten triumphieren, verstehen es, nicht nur die niedrigen Instinkte anzusprechen, sondern auch positive Begriffe wie „Demokratie“, „Freiheit“, „Frieden“, „Vielfalt“ und „Gemeinschaft“ in ihrem Sinne umzudeuten und so auch gutwillige, aber naive Leute zu bezaubern. Die Rechten knüpfen dabei an reale Probleme und berechtigte Unzufriedenheit an und präsentieren ihre nationalistische und rassistische Ideologie als Lösung.

Nicht nur die soziale Frage, auch die Ökologie wird von den Rechten unserer Tage dazu benutzt, sich Einfluss zu verschaffen. Diese Erscheinung ist nicht neu: Die Naturschutzbewegung hatte schon immer auch Strömungen mit Hang zum konservativen Denken. Seit einer Weile produziert Jonas Schick, ein Aktivist der „Identitären Bewegung“, die Zeitschrift „Die Kehre“, die auch von dem AfD-Neonazi Björn Höcke beworben wird. Es handelt sich bei dieser „Zeitschrift für Naturschutz“ um den Versuch, Menschen, die sich für ökologische Probleme interessieren, für die neurechte Weltanschauung anzuwerben. Unterstützt wird diese Absicht leider auch von Michael Beleites, einem der bekanntesten Vertreter der Umwelt- und Demokratiebewegung in der DDR. Beleites machte als Erster die Schäden durch den Uranbergbau in der DDR bekannt und wurde deswegen von der Staatssicherheit schikaniert. Nach der Wende arbeitete er als Gärtner und Autor, zeitweise auch als sächsischer Beauftragter für die Stasi-Unterlagen. Nun schreibt er für „Die Kehre“ und veröffentlicht Bücher wie „Lebenswende. Degeneration und Regeneration in Natur und Gesellschaft“ im Verlag Manuscriptum, mit dessen Hilfe auch Alexander Gauland und Björn Höcke ihre Botschaften unters Volk bringen.

Unbedarfte Leserinnen und Leser werden in den Texten von Beleites zunächst vieles sympathisch finden: echte Liebe zur Natur, Kritik am Wettbewerbsdenken und Wachstumswahn im Allgemeinen, an der Naturzerstörung und der industriellen Landwirtschaft im Besonderen. Seine Warnung, ein bloß grün angepinselter Kapitalismus werde die globalen Probleme nicht lösen, ist ohne Zweifel berechtigt. Wer genauer hinschaut, entdeckt jedoch bald Abgründiges: Beleites ist ein Mann mit Hang zu esoterischer Religiosität, der die Natur nicht evolutionstheoretisch begreifen will, sondern an das „(Mit)Wirken göttlicher Schöpferkräfte“ glaubt. Seine Naturphilosophie beruht auf wilden Spekulationen und unreflektierten Analogieschlüssen von der Physik und Biologie auf die Gesellschaft und umgekehrt. Wie seriös der Forscher Beleites ist, kann man daran ermessen, dass er davor warnt, „elektromagnetische Strahlungsfelder“ könnten für die Seelen nach dem Tod schädlich sein, Windräder würden die Erderhitzung wegen „des gebremsten Windes“ noch verstärken und „Hormonpräparate“ seien dafür verantwortlich, dass „den Frauen weibliche und den Männern männliche Eigenschaften abhandenkommen“.

Beleites ist außerdem ein Feind des zivilisatorischen Fortschritts, seine Lösungsvorschläge führen fast alle in die Vergangenheit. Die Geschichte der Menschheit begreift er als Verfall, er will uns in den paradiesischen Zustand der „Jäger und Sammler“, zumindest aber auf „das bäuerliche Prinzip“ zurückführen. Er möchte auch die „parlamentarische Demokratie“ durch eine „Alternative“ überwinden – über die er aber vorsichtshalber wenig mehr verrät, als dass wir uns „ein Stück weit am Bienenvolk orientieren“ sollen. Für unverzichtbar hält er seltsamerweise die sehr moderne Erscheinung der „nationalstaatlichen Souveränität“, die er überdies „volklich“ verstanden wissen will.

Am fatalsten aber ist es, dass Beleites einen Rassismus mit pseudoökologischer Begründung predigt. Er selbst weist diesen Vorwurf weit von sich: Zwar glaube er an „die biologische Tatsache der natürlichen Rassenvielfalt des Menschen“, doch halte er alle Rassen für „gleichwertig“ und plädiere für ein „kooperatives Nebeneinander“ – darum sei er kein Rassist. Doch Beleites lehrt auch, „Kulturen“ hätten „immer auch eine genetische oder zumindest epigenetische Komponente“. Zugehörigkeit sei „auch eine biologische Kategorie“ und eine Gesellschaft für ihren Zusammenhalt auf „genetische Kohäsion“ angewiesen. Das ist – in verquastem, pseudowissenschaftlichem Jargon – nichts anderes als die alte Lehre des Rassismus, die Kultur erwachse aus dem Blut und Vermischung mit Fremdblütigen sorge für den Niedergang eines Volkes. All das ist offenkundig Unsinn: Selbstverständlich können Menschen, die aus Afrika oder Asien stammen, problemlos in der europäischen Kultur leben. Die globale „Rassenvielfalt“, die Beleites gegen ihre Auflösung durch Migration schützen will, ist in Wahrheit durch Migration überhaupt erst entstanden. Leider ist der Unsinn, den Beleites lehrt, kein harmloser, sondern ein gefährlicher. Wenn er vor „gezielter und im großen Stil angelegter ethnischer Durchmischung und dem damit zusammenhängenden kulturellen Identitätsverlust“ warnt, dann ist das sinngemäß nichts anderes als der im rechtsradikalen Milieu als „Umvolkung“ bekannte Verschwörungswahn.

Beleites bekennt sich ausdrücklich zum „Ethnopluralismus“, jener Spielart des Rassismus, mit der die Neue Rechte seit einigen Jahrzehnten wachsenden Erfolg hat. Auch der Rassismus geht mit der Zeit: In der Epoche des Kolonialismus und Imperialismus behauptete der Rassismus, Afrikaner und Asiaten seien minderwertig, um so die Unterdrückung und Ausbeutung dieser Menschen durch Europäer zu rechtfertigen. Mit der schwindenden Macht des Westens ist der Rassismus defensiv geworden. Als „Ethnopluralismus“ gibt er heute vor, alle Völker für gleichwertig zu halten, besteht jedoch darauf, alle müssten getrennt voneinander in ihrer angestammten Heimat bleiben. Und werden dabei nicht alle gleichbehandelt? Die Reichen dürfen bleiben, wo sie jetzt sind, und die Armen müssen bleiben, wo sie jetzt sind. Welch ein Akt der Gerechtigkeit! Um nichts anderes geht es, als die armen Menschen des Südens fernzuhalten und die Abschottung der reichen Staaten zu rechtfertigen. Die kulturelle Diversität der modernen Gesellschaften soll als Ursache der sozialen Konflikte und ökologischen Probleme der Gegenwart denunziert werden.

Michael Beleites ist in seiner Rolle als Propagandist der Rassentrennung nichts anderes als ein nützlicher Idiot der Privilegierten des Westens – und alle, die solchem „Ethnopluralismus“ gutgläubig folgen, werden es auch.

Foto: Amac Garbe

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