28. Januar 2021
Kolumne von Matthias Meisner
Vielleicht denkt Rechtsanwalt Ralf Höcker, dass frisösenschlau das neue bauernschlau ist. Oder sollte es in diesem Fall besser „advokatenschlau“ heißen?
In einem Beitrag auf Facebook, der auch auf dem rechten Blog Tichys Einblick verbreitet wurde, hat Höcker, Namensgeber und Chef der Medienrechtskanzlei aus Köln, sein ausgefuchstes Tun dieser Tage um eine Facette bereichert. Dort gibt der Jurist einen Ratschlag, wie mensch „ganz legal“ gut frisiert über die Coronakrise kommt. Nicht ohne Seitenhieb auf die Kanzlerin, die sich ja auch trotz Lockdown-Auflagen von ihrer Visagistin die Haare schneiden lassen dürfe, wie in der Bild-Zeitung zu lesen war.
Unter Hinweis auf § 2 (2) Nr. 1 a der nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung (vergleichbare Regeln in den übrigen Bundesländern) schreibt Höcker, es seien private „Zusammentreffen von Personen eines Hausstandes mit höchstens einer Person aus einem anderen Hausstand“ erlaubt. Demnach dürfe ein Friseur, mit dem man sich „auch privat bestens versteht“, selbstverständlich zum Hausbesuch kommen. Wenn dieser dann zufällig eine Schere dabei habe, „ganz ungewerblich“ tätig werde, „aus purer Freundschaft“, „um im Lockdown nicht aus der Übung zu kommen“…
Nun, so läuft‘s bei der Nicht-Bekämpfung der Pandemie, wenn alle alles tun, was gerade noch so erlaubt ist. Ein Unterschied zum fintenreichen Treiben von Coronaleugner:innen ist nicht auszumachen. Etwa jenen, die Anfang November ihre Versammlung auf der Münchener Theresienwiese zum Gottesdienst umdeklarierten, um die Corona-Regeln auszuhebeln. Oder jenen, die sich im Januar 2021 gleich an drei Abenden in der Berliner Bar Scotch & Sofa im Kollwitzkiez trafen: Die Truppe, irgendwo vernetzt zwischen einem Ufo-Forscher, Impfgegner:innen und der Querdenken-Szene, wollte unter dem Namen „Team Freiheit“ angeblich eine Partei gründen. Auch das sieht sehr nach einem Vorwand aus, um die staatlicherseits strikt empfohlene Reduzierung der Kontakte, damit sich die Seuche nicht weiter ausbreiten kann, zu umgehen.
Aber, um auf Ralf Höcker zurückzukommen, wen wundert das Anbiedern bei Corona-Relativierer:innen bei einer Medienrechtskanzlei, die zahlreiche Mandate der AfD und ihrer Funktionär:innen übernommen hat? Also einer Partei, die sich wiederum als Interessenvertreterin der „Querdenker:innen“-Szene geriert. Jan Böhmermann hat vor ein paar Tagen getwittert: „Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der rechtsextreme Verschwörungswirrkopf Hans-Georg Maaßen, arbeitet für die Rechtsextremen-Szene-Kanzlei, die für die rechtsextreme Partei ,AfD‘ das Bundesamt für Verfassungsschutz verklagt.“
Dies ließe sich noch als Zuspitzung eines Satirikers abtun. Unstrittig aber sind diese Zusammenhänge: Im Herbst 2019 teilte die Kanzlei Höcker mit, dass Ex-BfV-Präsident Maaßen künftig für sie im Bereich „öffentliches Äußerungsrecht“ als Anwalt tätig sein werde. Jener Mann also, der, noch im Amt, in einer Runde von internationalen Geheimdienstlern laut Manuskript von „linksradikalen Kräften in der SPD“ gesprochen hatte. Und der im Streit um „Hetzjagden“ bei den Krawallen im Sommer 2018 in Chemnitz Front gegen Angela Merkel gemacht hatte und auch deshalb von Bundesinnenminister Horst Seehofer in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Höcker selbst war bis Februar 2020 acht Monate lang Pressesprecher der am rechten Rand der Unionsparteien operierenden „Werte-Union“. Er gehörte mit zu jenen in der CDU, die für Entspannung im Verhältnis zur AfD plädieren.
Der Kieler Anwalt Alexander Hoffmann zählt die Kanzlei Höcker zu denen, die in bestimmten Verfahren „ihr juristisches Vorgehen als Teil beziehungsweise als Fortsetzung ihres politischen Kampfes verstehen“, wie er in dem 2020 erschienen Sammelband „Recht gegen rechts“ schreibt. „Dies bedeutet, dass die rechtlichen Gegner:innen in erster Linie als politische Gegner:innen verstanden werden, denen es möglichst großen Schaden zuzufügen gilt.“ Von Versuchen der Einschüchterung spricht Hoffmann, von „Abmahnung als Strategie“.
Von Kritiker:innen Höckers wird immer wieder aus dem Aufsatz „Journalisten-Bedrohung ist okay!“ des Rechtsanwalts zitiert, der 2012 erschien: „Jeder hat das grundgesetzlich verbriefte Recht, Journalisten zu beeinflussen und ihnen zu drohen“, heißt es dort. Und: Es sei „das gute Recht eines jeden Bürgers, Unternehmens oder Politikers, präventiv und reaktiv Einfluss auf die journalistische Berichterstattung zu nehmen“. Als Medienanwalt mache er das jeden Tag.
Entsprechende Beispiele aus der Arbeit Höckers gibt es bis heute. Anwalt Hoffmann erwähnt die „gezielte Abmahnwelle“ gegen das Buch „Völkische Landnahme“ von Andrea Röpke und Andreas Speit, das 2019 im Berliner Ch. Links Verlag erschienen ist – eine wichtige Dokumentation über völkisch-nationalistische Siedler:innen in Ostdeutschland. Die Stiftung Warentest sprach 2017 im Zusammenhang mit dem Agieren der Kölner Kanzlei von „fiesen Drohmethoden“. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb 2019, Höckers Vorgehen sei „im Zweifel außerordentlich robust“.
Berührungsängste beim Umgang mit der rechten Szene hat Höcker offenbar nicht. 2019 twitterte der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen ein Foto, das ihn mit Höcker und dem umtriebigen PR-Berater Moritz Hunzinger in trauter Dreisamkeit zeigt. „Sehr angeregter und konstruktiver politischer Gedankenaustausch“, schrieb Meuthen dazu. Im Sommer 2019 hatte Hunzinger, wie die Frankfurter Rundschau dokumentierte, in Anspielung auf die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel auf Facebook geschrieben: „Mit Kohl gäbe es diese scheußliche Masseneinwanderung von Wilden hierzulande nicht.“
Gefackelt wird bei der Kölner Kanzlei nicht lange, ob es nun um Politiker:innen oder um Medienschaffende geht. Kurz vor Weihnachten 2020 kassierte der schleswig-holsteinische Linken-Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin eine Abmahnung der Kanzlei Höcker, weil in seinem Tweet über den brandenburgischen AfD-Parlamentarier Stefan Kotré ein Halbsatz nicht stimmte – Beutin hatte behauptet, Kotré halte Corona für nicht schlimmer als eine Grippe.
Zwar hatte der AfD-Mann zuvor zwar fast nichts unterlassen, um sich bei den „Querdenkern“ anzubiedern. Am 16. Dezember forderte Kotré im Bundestag ein „Nein zum Impfzwang“, obwohl es den gar nicht gibt. Er sprach im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie von „Hysterie“. Und erklärte, dass man die Treffen von Merkel mit den Ministerpräsident:innen („Kungelrunde“) „durchaus als Coronadiktatur bewerten“ könne. Zuvor schon sagte Kotré am 16. November in einem Video am Rande des „Querdenker“-Protests am Brandenburger Tor, für Schutzmaßnahmen bestehe „kein Anlass“. Und: „Wenn es wirklich eine Seuche wäre, dann könnte man diese Maßnahmen verstehen. Es ist aber keine solche Seuche hier.“ Als „Corona-Leugner“ wollte Kotré trotzdem nicht dargestellt werden – und fand in Höckers Kanzlei anwaltlichen Rat und Hilfe. Aus Köln hieß es an die Adresse des Linken-Politikers: „Lüge“.
Der Berliner Rechtsanwalt Raphael Thomas, der in mehrere Verfahren involviert ist, sagt: „Die verzweifelten Versuche, in Zeiten der drohenden Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz Berichterstattung durch Einschüchterung zu verhindern, wirken hilflos. Wenn die Abmahnungen dann auch noch durch Kanzleien wie Höcker ausgesprochen werden, deren Briefkopf der Name des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, schmückt‘, ist das fast Satire. Alle entsprechenden Einschüchterungsversuche haben bisher übrigens das Gegenteil bewirkt und die Kampfbereitschaft und Unterstützung der abgemahnten Medien erheblich gesteigert.“ Es wäre zu hoffen.
„Man steckt sich zu Hause an, bei den Familien und am Arbeitsplatz, aber nicht beim Friseur…“ hatte der AfD-Politiker Kotré am 16. Dezember im Bundestag gesagt. Jetzt verspricht Höcker mit seinem Homebarbering-Tipp, er könne verhindern, dass Menschen „wie der wilde Waldwatz“ aussehen. Das soll witzig klingen, ist es aber nicht. In Wahrheit hat sich die AfD im Jahr der Pandemie zum parlamentarischen Arm der Coronarebell:innen gemausert, und Anwalt Höcker bestärkt sie in dieser Rolle. Kein Zufall, dass die Impfbereitschaft unter Anhänger:innen der AfD so gering ist wie bei keiner anderen der im Bundestag vertretenen Parteien.
Foto: Dora Meisner