06. Februar 2022
Kolumne von Ruprecht Polenz
Wie kann Putins Krieg gegen die Ukraine gestoppt werden? Die bedrohten Menschen in Kiew oder Charkiv wollen eine Antwort, die ihnen ein Ende von Angst und Schrecken verspricht, die ihnen Zuversicht gibt, dass das Schießen und Bomben der russischen Aggressoren endlich aufhört. Seit zehn Tagen dringt die russische Armee von allen Seiten in die Ukraine ein und bringt Tod und Zerstörung über ein friedfertiges Land, das niemanden bedroht hat.
Der 24. Februar 2022 ist der schwärzeste Tag in der ukrainischen Geschichte seit dem Angriff von Nazi-Deutschland auf die Ukraine und die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die europäische Friedensordnung der Charta von Paris, die 1990 auch von der Sowjetunion unterschrieben wurde, liegt in Trümmern. Schon durch die Annexion der Krim 2014 und den Krieg im Donbas, in dem bisher 14.000 Menschen getötet wurden, hat Russland die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine verletzt. Der russische Überfall macht jetzt für alle offenkundig: Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass dauerhaft Frieden in Europa herrscht.
2022: Wir müssen den Frieden gegen Russland sichern
Der Satz, wonach es Frieden und Sicherheit in Europa nur mit Russland geben könne, gilt nicht mehr. Wir müssen lernen, dass wir den Frieden gegen
Russland sichern müssen, wenn wir in Europa in Freiheit und Sicherheit leben wollen.
Es war richtig, nach dem Ende des Kalten Krieges eine Friedensordnung gemeinsamer Sicherheit mit Russland schaffen zu wollen. Gorbatschow hatte vom gemeinsamen europäischen Haus gesprochen. 1997 trat ein umfangreiches Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland in Kraft. Die Gebiete der Zusammenarbeit: Wirtschaft; Freiheit, Sicherheit und Justiz; äußere Sicherheit; Forschung, Bildung und Kultur.
1997: „Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner“
1997 hatte Russland die NATO-Russland-Grundakte
unterzeichnet, die seinen Bedenken gegen die NATO-Osterweiterung Rechnung tragen sollte. Russland und die NATO „werden gemeinsam im euro-atlantischen Raum einen dauerhaften und umfassenden Frieden auf der Grundlage der Prinzipien der Demokratie und der kooperativen Sicherheit schaffen. Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner“, heißt es in dem Text.
Putin trägt die Verantwortung dafür, dass es anders gekommen ist. Sein Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Es geht ab sofort wieder um Abschreckung, Koexistenz und hoffentlich irgendwann wieder um einen neuen Helsinki-Prozess 2.0, bei dem über Abrüstung, Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen gesprochen werden kann.
Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Deshalb schicken Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, jetzt weitere Soldaten in die baltischen Staaten, nach Polen und Rumänien. Putin muss wissen: ein Angriff auf NATO-Staaten bedeutet Krieg mit der ganzen Allianz.
Wird sich Putin davon beeindrucken lassen? Auch Westberlin wäre gegen einen Angriff des Warschauer Pakts militärisch nicht zu verteidigen gewesen. Aber die Abschreckung hat gewirkt, weil das Risiko eines Atomkrieges für die Sowjetunion zu hoch war. Und die damalige Sowjetunion war wesentlich stärker als Russland heute. Wir dürfen deshalb darauf vertrauen, dass die Abschreckung auch jetzt vor einem 3.Weltkrieg schützt.
In den Krieg in der Ukraine wird die NATO nicht eingreifen
Es muss ganz klar sein, wann die NATO eingreift – und wann nicht. In den Krieg in der Ukraine wird die NATO nicht eingreifen, auch nicht mit der Durchsetzung einer no fly zone gegen die russische Luftwaffe. Das ist bitter. Aber mit einem 3. Weltkrieg wäre der Ukraine auch nicht geholfen.
Putin hat in seinem Aufsatz „Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer“ der Ukraine ihr staatliches Existenzrecht abgesprochen. Er sieht sich in der Tradition von Katharina der Großen und will das alte russische Imperium zurück.
Der Überfall auf die Ukraine folgt diesem ideologischen Drehbuch. Putin hat Russland damit international völlig isoliert. Nur Belarus, Syrien, Eritrea und Nordkorea stimmten in der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit Russland. 141 Staaten verurteilten den russischen Überfall.
Die Sanktionen treffen Russlands Wirtschaft hart
Sanktionen der EU, der USA, Japans und vieler anderer Länder treffen Russlands Wirtschaft mit aller Härte. Experten erwarten einen Rückgang des Bruttosozialprodukts um 10 Prozent, verglichen mit einer Situation fortbestehender Hanbdelsbeziehungen. Der Rubel befindet sich in freiem Fall. Das Vermögen von Putins Nomenklatura wird überall auf der Welt beschlagnahmt.
Internationale Sportverbände schließen Russland aus. Bei der Fußball-WM darf die russische Mannschaft nicht antreten. Bei den Paralympics wurde sie vorgestern nach Hause geschickt.
Putin hat Angst, dass sein Lügengebäude zusammenbricht. Bei hohen Strafen ist es jetzt verboten, in Russland die Wahrheit über den Krieg zu sagen. Das Volk soll weiter glauben, dass es sich um eine „militärische Spezialoperation“ handelt, gegen eine „faschistische Regierung“, die „Völkermord“ an ethnischen Russen begeht und dabei ist, Atomwaffen zu entwickeln.
Noch wirkt der alte Propaganda-Trick: Je monströser die Lügen, desto eher werden sie geglaubt. Aber auch in Russland gehen mutige Menschen in vielen Städten auf die Straße, um gegen Putins Krieg zu demonstrieren. Über 5000 Wissenschaftler:innen haben in einem offenen Brief dagegen protestiert.
Wird das alles reichen, um den Krieg zu stoppen, den die Ukraine nach aller Wahrscheinlichkeit militärisch nicht gewinnen kann? Wann gibt es wenigstens einen Waffenstillstand, um zu Verhandlungen zu kommen? Macron geht nach einem Telefonat mit Putin davon aus, dass das Schlimmste noch bevorsteht. Eine bittere Antwort auf die Frage der Ukrainer:innen nach einem Ende des Krieges. Ich hätte gern eine bessere gegeben.
Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP