Neukölln-Komplex: Der Erste macht das Licht aus 

Neukölln-Komplex: Der Erste macht das Licht aus 

25 August 2020

Kolumne von Özge

Wer sich ältere Berichte über die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie anschaut, begegnet vielen Fragen. Wie kann es sein, dass die Ermittlungen nicht vorankommen? Dass Täter nicht gefasst und Verfahren immer wieder eingestellt werden? Wie kann es sein, dass die Ermittler Jahr für Jahr im Dunkeln tappen?

Jetzt sieht es aus, als könnte ihnen jemand das Licht ausgeknipst haben. Und zwar kein Geringerer als die Nummer eins der Staatsschutzabteilung, Oberstaatsanwalt Matthias Fenner. In regelmäßigen Abständen kommen neue Verstrickungen der Berliner Polizei und Justiz mit den Nazi-Strukturen ans Licht. 

Da wäre also Fenner, der dem verdächtigen AfDler Tilo Paulenz erklärt haben soll, selbst mit der AfD zu sympathisieren, und ein weiterer ermittelnder Staatsanwalt, der das mitbekam und offenbar für nicht weiter bemerkenswert hielt. Außerdem der Brandanschlag auf das Auto des linken Lokalpolitikers Ferat Koçak, von dem die Polizei im Vorfeld wusste, ohne Koçak zu warnen. Und der LKA-Beamte Pit Weber, der kurz nach diesem Anschlag mit mehreren Neonazis beim Bierchen gesichtet wurde – einer davon Sebastian Thom, zufällig Hauptverdächtiger des Anschlags. Und dann wäre da noch der Polizeibeamte Stefan Kollmann, bis 2016 Mitglied der Ermittlungsgruppe um die Anschlagsserie, der in seiner Freizeit NPD-Demos besucht und jüngst einen Afghanen verprügelt und rassistisch beleidigt haben soll. Und der LKA-Beamte Sebastian Kayser, der Briefe an linke Aktivisten schrieb, in denen er drohte, Angaben zu ihrer Person aus der polizeilichen Datenbank an Neonazis weiterzuleiten. 

All dies liest sich für Nichtbetroffene wieder einmal als skandalös, empörend, beschämend. Potentielle Betroffene packt wieder einmal die Angst – und die Erkenntnis: wenn uns irgendjemand vor der Gewalt der Nazis schützen soll, sind das wir selbst. Das ist inzwischen eine deutsche Normalität. 

Die Behörde hat jetzt ein Imageproblem. Ein Naziproblem wäre einigen Kollegen offenbar lieber gewesen. Die Vereinigung der Berliner Staatsanwälte ist empört über die Versetzung von Fenner und resümiert in einer von Verharmlosungen gespickten Pressemitteilung, die ganze nervige Öffentlichkeit habe gar nicht sein müssen und habe dem Ansehen der Berliner Strafverfolger unnötig geschadet.  

Traurigerweise überrascht es kein bisschen, wenn deutsche Juristen ihr gesellschaftliches Prestige wichtiger finden als die Sicherheit von Linken und rassistisch Verfolgten. Im Gegenteil, man könnte das mit Blick auf die Nachkriegs-Bundesrepublik, wo die Mehrheit der deutschen Staatsanwälte die wohl größte kollektive Arbeitsverweigerung der Weltgeschichte hinlegte, als berufliche Tradition bezeichnen. Wie man auf die Idee kommt, Hinterzimmerpolitik sei in diesen Tagen gute PR, bleibt trotzdem fraglich. Und nicht zuletzt: – für die Staatsgewalt gilt dieser Satz nämlich ausnahmsweise – wer nichts zu verbergen hat, scheut auch keine Öffentlichkeit.

In der Zwischenzeit holt Innensenator Geisel externe Rechtsextremismus-Ermittler ran – als Signal, dass es jetzt aber wirklich so richtig losgeht mit der Strafverfolgung. Es handelt sich um (Zitat!) „zwei oder drei“ Ermittler. Wenn der rechte Sumpf in der Berliner Polizei und Justiz so tief ist, wie die jüngsten Ereignisse vermuten lassen, wird das kaum etwas bewirken. Es bleibt abzuwarten. Sie ermitteln um unser Leben. 

Foto: Özge

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