01. März 2022
Kolumne von Michael Bittner
Es gibt eine Sorte von altlinken Rechthabern, die gerade nurmehr schwer zu ertragen ist. Noch vor einer Woche verkündeten sie im Ton überlegenen Spottes, nie und nimmer werde Russland in die Ukraine einmarschieren. Derartige Behauptungen seien nur plumpe Propaganda der USA, Wladimir Putin wolle in Wahrheit den Frieden! Nun, da die russische Armee die Ukraine auf Befehl Putins überfallen hat, zucken sie nicht mit der Wimper, lassen sich auch nicht einen Hauch von Selbstkritik zuschulden kommen, sondern wissen schon wieder in gewohnter Lautstärke Bescheid. Die Ukraine habe den Krieg ja auch provoziert (vermutlich durch einen zu kurzen Rock) und stehe nun dem Frieden im Weg, weil sie nicht schnell genug kapituliere.
Was verdreht sonst klugen Menschen so den Kopf? Zunächst einmal haben sie schon recht damit, dass eine Einteilung der Welt in den „freien Westen“ und die dunklen Diktaturen des Ostens ein ziemliches schiefes Bild der Wirklichkeit liefert. Die USA und ihre Verbündeten betreiben eine oft skrupellose Machtpolitik, sie mischen sich in die Belange benachbarter Staaten, unterstützen bei Bedarf Diktatoren oder militante Separatisten und führen völkerrechtswidrige Interventionskriege mit katastrophalen Folgen. Sie tun also eben das, was sie den Staaten des Ostens vorwerfen, allerdings im glitzernden Gewand der Demokratie. Aus dieser Einsicht folgern unsere Traditionslinken nun aber nicht, dass es notwendig ist, die einen Verbrechen so schonungslos anzuklagen wie die anderen. Gefangen in einem kleinkindlichen Denken in den Kategorien von Freund und Feind, das auf links gedreht „Parteilichkeit“ heißt, entschuldigen sie die Machtpolitik des Ostens mit Verweis auf die westlichen Übeltaten. Der russische Imperialismus erscheint als unschuldige Notwehr gegen die NATO, als wäre er nicht älter als jede Konfrontation mit dem Westen. Bei einigen dieser Recken ist sogar eine nicht allzu heimliche Sympathie für den autoritären, reaktionären, chauvinistischen Gartenzwerg Putin zu spüren. Wen wundert’s? Wer unter Linkssein nicht mehr versteht, als „den Westen“ zu hassen, der kann auch gleich Faschist werden.
So, wie man vor Jahren gegen den Einmarsch der USA in den Irak demonstrieren konnte, ohne deswegen zum Sympathisanten des brutalen Diktators Saddam Hussein zu werden, kann man heute gegen den Überfall Russlands auf die Ukraine protestieren, ohne die NATO für die alleinseligmachende Kirche des Friedens zu halten. Bevor der Krieg grausam macht, macht er dumm. Es ist notwendig, sich auch jetzt gegen die Verblödung des militärischen Ungeistes zu wehren. Die Ukraine verdient bei ihrer Selbstverteidigung Unterstützung. Aber es ist nicht nötig, den Verstand strammstehen zu lassen und nun folgsam jeden Unsinn abzunicken, den unsere Herrschenden im Ausnahmezustand gerne durchpeitschen wollen: von der Aufrüstung der Bundeswehr bis zur Rückkehr zur Atomkraft. Die wirksamsten Mittel, um wieder Frieden herzustellen, sind keineswegs auch die blutigsten. Eines von ihnen sind offene Grenzen, für alle Flüchtenden, nicht zuletzt für die größten Helden: Russen, die sich dem Krieg verweigern.
Foto: Amac Garbe