Nachdem die Dresdner NGO Mission Lifeline am Freitag in internationalen Gewässern im Mittelmeer 63 Menschen rettete und an die größere „Sea Eye 4“ überführte, nahm die Crew der „Rise Above“ am Samstag in einem weiteren Rettungseinsatz 27 Menschen – alle syrischer Herkunft – an Bord, darunter viele Frauen, Babies und Kinder, eines davon unbegleitet. Im Gegensatz zu allen früheren Einsätzen, bei denen oft tagelang die Einfahrt in einen Hafen verweigert wurde, bekam die „Rise Above“ diesmal bereits Stunden nach der Rettung mit Gioia Tauro einen Sicheren Europäischen Hafen zugewiesen.
Wie sich jetzt herausstellt, sollte die zunächst positiv aufgenommene Nachricht nur ein Vorgeschmack auf das sein, was Innenminister Piantedosi unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen mit einer zu erlassenden Verordnung über einen Verhaltenskodex für Seenotrettungs-NGOs auf den Weg bringen will:
Demnach müssten Schiffe von Hilfsorganisationen, die Rettungsaktionen im Mittelmeer durchführen, unmittelbar nach jedem Einsatz sofort einen sicheren Hafen anlaufen und die Menschen an Land bringen. Sie dürften nicht im Suchgebiet bleiben, um Menschen in anderen seeuntüchtigen Booten zu helfen und diese dann gemeinsam auszuschiffen. Die Regel der sofortigen Ausschiffung der Migranten – so die Argumentation von Piantedosi – stehe im Einklang mit den internationalen Konventionen, die eine Rettung erst dann für abgeschlossen erklären, wenn die geretteten Personen an einem sicheren Ort an Land gebracht werden. Verboten werden soll auch die Übergabe von einem humanitären Schiff auf ein anderes, wie es häufig bei Einsätzen mit kleineren Schiffen wie der Rise Above der Fall ist, die weniger geeignet ist, sehr viele Menschen mehrere Tage an Bord zu behalten.
„Was damit bezweckt wird, ist klar. Mit diesen neuen Regeln sollen gezielt Rettungskapazitäten abgezogen werden, während Menschen auf der Flucht um ihr Leben kämpfen. Die Unterbrechung unserer Missionen nach jeder kleineren Rettung und die sofortige Rückkehr an Land wird zudem zwangsläufig deutlich höhere Treibstoffkosten und viel Zeitverlust mit sich bringen.“,
erklärt Hermine Poschmann, Vorstand bei Mission Lifeline.
NGOs, die sich nicht an diese neuen Regeln halten, werden dann Sanktionen ausgesetzt sein, die nicht mehr wie bisher strafrechtlicher, sondern verwaltungsrechtlicher Natur sind und sofortige Geldstrafen und die Beschlagnahme oder Konfiszierung von Schiffen nach sich ziehen können. Dabei passt das italienische Vorhaben zu dem jüngst von der Europäischen Union vorgelegten Aktionsplan, der ebenfalls darauf abzielt, die zivile Seenotrettung zu behindern.
Bereits im November hatte sich Hermine Poschmann in einem Statement vor dem EU-Parlament in Straßburg dazu deutlich geäußert:
„Hören Sie auf, gegen Gesetze und Menschenrechte zu verstoßen. Hören Sie auf, sich ständig neue Regeln auszudenken, die nur dazu dienen sollen, die Menschen auf unwürdige und rechtswidrige Weise im Stich zu lassen. Fangen Sie endlich an, Menschen auf der Flucht wie Menschen zu behandeln. Fangen Sie an, die bestehenden Gesetze zu respektieren und beginnen Sie mit der Umsetzung eines Systems echter Solidarität innerhalb der gesamten Europäischen Union.“
Und Axel Steier, ebenfalls Vorstand bei Mission Lifeline, ergänzt:
„Es besteht die Gefahr, dass die Verpflichtung zur Einhaltung des Internationalen Seerechts vollständig ausgehebelt wird. Bei der zutiefst menschenfeindlichen Hysterie (von Trump bis Europa) zum Thema Migration besteht die Gefahr des Verlustes zivilisatorischer Errungenschaften und universeller Rechte.“,
Mission Lifeline führt seit 2016 Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer durch. Seit ihrer 1. Mission im Mittelmeer wurden tausende Menschen aus Seenot gerettet.
Fotos: Johannes Räbel