Herrschaft des Unrechts

Herrschaft des Unrechts

02. November 2021

Kolumne von Michael Bittner

Es gibt eine Faustregel: Wenn Rechte sich auf das Recht berufen, dann ist Heuchelei im Spiel. Denn das Recht interessiert Rechte nur so lange, wie es ihren Zwecken dient. Ist es ihren Wünschen hingegen im Weg, verabschieden sie es mühelos zugunsten des Faustrechts. 2016 schwadronierte Horst Seehofer noch von einer „Herrschaft des Unrechts“, weil seine Bundeskanzlerin Angela Merkel Geflüchtete aus Syrien nicht an der deutschen Grenze zurückweisen ließ. Nun herrscht an den Grenzen der Europäischen Union tatsächlich das Unrecht – Seehofer findet lobende Worte. Die europäische Rechte applaudiert, während Geflüchteten ihr Recht verwehrt wird, einen Asylantrag zu stellen. Stattdessen werden sie von Grenzpolizisten verprügelt und davongejagt. Videoaufnahmen von solchen Banditen in Uniform wurden aus Kroatien bekannt. Die europäischen Regierungen versprachen, auf diese schrecklichen Bilder zu reagieren. Wir sehen nun, wie das gemeint war: Sie sorgen dafür, dass an den Grenzen keine Bilder mehr gemacht werden.

An der Grenze zu Belarus hat die polnische Regierung eine Todeszone eingerichtet, in der die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt ist und die Menschenrechte nichts mehr gelten. Niemand weiß, wie viele Geflüchtete in den Wäldern und Sümpfen herumirren, wie viele schon erfroren sind oder umgebracht wurden. Es ist der „Ausnahmezustand“, von dem Rechte seit jeher träumen, eine Parallelwelt, in der allein die Gewalt regiert. Deutsche Nazis sind traurig, weil sie in diesem Freiluft-Konzentrationslager nicht mitfoltern dürfen. Sie patrouillieren stattdessen mit Knüppeln und Macheten an Neiße und Oder. Aber warum lässt man sie nicht einfach durch zur EU-Außengrenze? Sie würden dort auch nichts anderes tun als die polnischen Grenzschützer.

Es ist aber verlogen, allein die Politiker in Polen, Kroatien oder Griechenland zu verdammen. Denn die handeln nur im Auftrag aller europäischen Regierungen, auch der deutschen. Warum diese Brutalität gegen einige zehntausend Menschen? Die Antwort lautet: Weil der Westen darin versagt, die Klimakatastrophe abzuwenden, bewaffnet und brutalisiert er sich schon einmal vorsorglich, um in Zukunft Klimaflüchtlinge in weit größerer Zahl abwehren und notfalls töten zu können. Hier soll beispielhaft aufgerüstet und abgeschreckt werden. Als faule Ausrede muss die Erpressung herhalten, an der sich der weißrussische Diktator versucht. Aber den „hybriden Krieg“, den dieser Zwergtyrann angeblich führt, hätte er schon verloren, wenn die Europäische Union sich an ihr eigenes Recht halten würde. Die Geflüchteten sind keine „menschlichen Waffen“, denn sie tragen keine Sprengstoffgürtel. Es sind nicht Waffen, vor denen ihr euch fürchtet, es sind Menschen.

Die Propagandisten der Bestialität versuchen die Europäer Glauben zu machen, es gäbe nur die Alternative zwischen ihrer Unmenschlichkeit und einer utopischen Politik, die sofort alle Grenzen abschafft. Es gibt in Wahrheit aber viele Zwischenlösungen, die unvollkommen sein mögen, aber allemal besser als die Methode, absichtlich Menschen verrecken zu lassen. Selbst jemand, der in Sachen Migrationspolitik sonst konservativ denkt, müsste in der Lage sein, wenigstens dieses Mindestmaß an Humanität zu bewahren. Wenn die Europäische Union jedoch weiterhin ihr eigenes Recht missachtet, entlarvt sie sich als kriminelle Organisation, gegen die jeder Mensch, der sein Gewissen noch nicht ganz verloren hat, Widerstand durch zivilen Ungehorsam leisten muss.

Foto: Amac Garbe

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