Hauptsache heißer Herbst

Hauptsache heißer Herbst

04.September 2022

Kolumne von Ruprecht Polenz

„Schau Dir zuerst den Taktstock des Dirigenten an, bevor Du anfängst, im Chor zu singen.“ Man wünschte sich, alle die mit der Strategie zur Krisenbewältigung der Bundesregierung nicht einverstanden sind, würden diesen Rat von Stanislaw Jercy Lec beherzigen, ehe sie irgendwelchen Demonstrationsaufrufen folgen.

Denn sowohl die radikale Rechte wie die Linke hat einen heißen Herbst angekündigt, zu dem beide mit Demonstrationen nach Kräften beitragen wollen. Beiden geht es dabei erst in zweiter Linie um soziale Härten als Folge von Gasknappheit, Inflation und steigenden Preisen.

Die Linkspartei versucht, über diesen Protest ihren Abwärtstrend zu stoppen. Er passt auch zu ihrer Ukraine-Politik. Zwar verurteilt sie Putins Angriffskrieg. Aber gleichzeitig lehnt sie wirksame Waffenhilfe zur Selbstverteidigung an die Ukraine ab. Sie fordert die Ukraine unverhohlen dazu auf, auf Teile des eigenen Territoriums zu verzichten, um den Krieg zu beenden.

Statt klar zu benennen, wie sehr der russische Krieg gegen die Ukraine zu den sozialen Problemen bei uns und in der Welt beiträgt, spielt die Linkspartei die Sorge um Arbeitsplätze und steigende Preise gegen die Solidarität mit der Ukraine aus.

Damit besorgt sie das Geschäft Putins, der darauf spekuliert, dass die negativen Rückwirkungen der gegen Russland verhängten Sanktionen zu Protesten und schließlich zur Aufhebung der Sanktionen führen werden.

Seit Pegida wissen wir, dass die rechtsextreme AfD auf eine Mobilisierung der Straße setzt. Gegen Ausländer:innen und Geflüchtete, gegen den Islam. Dann im Schulterschluss mit den sog. Quer“denker:innen“ gegen das Impfen und andere Schutzmaßnahmen vor Corona.

Wo immer Ängste bestehen, versucht die AfD, sie zu verstärken, um daraus für sich politisches Kapital zu schlagen. Jetzt sind es Sorgen der Menschen vor der Gasrechnung oder um den Arbeitsplatz, die sie politisch weiter anfachen will, um ihr trübes politisches Süppchen zu kochen.

Die AfD pflegt nicht nur engste Beziehungen zu Putins Partei „Einiges Russland“. Sie wendet sich auch gegen die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen und Sanktionen.

Wie die Linkspartei gibt die AfD der NATO und dem Westen die eigentliche Schuld an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch sie fordert sofortige Verhandlungen – von der Ukraine, nicht von Russland.

Linkspartei und AfD fordern die Öffnung von Northstream 2, um so die Gasversorgung sicherzustellen und die Preise zu senken. Was sie verschweigen: In den Pipelines durch die Ukraine oder in Northstream 1 ist bei weitem genügend Kapazität vorhanden, um Deutschland und Europa mit Gas zu versorgen. Es ist Putin, der nicht liefern läßt.

Aber die Öffnung von Northstream 2 wäre für ihn ein großer Propagandaerfolg und ein weltweites Signal, dass Deutschland und der Westen es mit den Sanktionen nicht mehr so ernst meinen.

Für kommenden Montag hat die Linkspartei zu einer Demonstration in Leipzig aufgerufen unter dem Motto: „Heißer Herbst gegen soziale Kälte! Energie und Essen müssen bezahlbar sein!“

Zur gleichen Zeit und am gleichen Ort will die rechtsextremistische Kleinpartei „Freie Sachsen“ demonstrieren. Wie sie sagen, unterstützen sie den Montagsprotest der Linkspartei. Motto: „Gemeinsam gegen die da oben“. Auch die AfD in Leipzig wirbt für diese Demonstration.

Ein Tweet der „Freien Sachsen“ bringt das mit einem Plakat so zum Ausdruck: „Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen! Jürgen Elsässer (Compact-Magazin), Anselm Lenz (Demokratischer Widerstand), Martin Kohlmann (Freie Sachsen), Andre Poggenburg (parteilos), Gregor Gysi (Die Linke), Sören Pellmann (Die Linke).

Gysi und Pellman, so ist zu lesen, wehren sich juristisch gegen dieses Plakat. Im Demonstrationsaufruf der Linkspartei heißt es in Erwartung dieser Entwicklung: „Der Konsens für unsere Demonstration am 5. September 2022 in Leipzig lautet: Alle demokratischen Kräfte versammeln sich solidarisch. Rassisten, Neonazis und Demokratiefeinde haben bei uns nichts zu suchen! Kein Fußbreit den Faschisten, egal an welchem Wochentag.“

Ob das hilft, wenn die Parolen auf dem Augustusplatz ähnlich klingen?

Die Menschen sind verunsichert. Noch ist nicht klar, wie genau sich die Bundesregierung eine wirksame Entlastung zur Vermeidung sozialer Härten vorstellt. Und ob auch eine Abschöpfung der hohen Gewinne der Energiekonzerne zur Finanzierung der Hilfen erfolgt.

Natürlich sind Kritik und Demonstrationen als Ausdruck der Meinungsfreiheit legitim und gelegentlich notwendig, um den notwendigen Druck zu erzeugen, damit sich etwas bewegt. Aber wer auf die Straße geht, sollte sich anschauen, nach welcher Partitur gesungen werden soll und welchem Chor man sich anschließt.

Zu dieser Kolumne gibt es zwei Repliken, die wir euch nicht vorenthalten wollen.

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Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP

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