29. März 2023
Kolumne von Özge Inan
Sieben Wochen sind es noch, bis in der Türkei gewählt wird. Über das Oppositionsbündnis und dessen inzwischen feststehenden Kandidaten Kemal Kılıçdaroğlu ist viel gesagt worden. Zurecht, immerhin könnte es sich Umfragewerten zufolge durchaus um die nächste türkische Regierung handeln. Angesichts dieser Bedrohung hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan nun Verstärkung um sich geschart und ein Bündnis geschmiedet, das Beobachtern ernsthafte Sorgen bereitet.
Die MHP, parlamentarischer Arm der rechtsextremen Grauen Wölfe, ist schon seit den letzten Wahlen 2018 Koalitionspartner der Regierungspartei AKP. Diese Verbindung war damals schon bemerkenswert, konnten die Grauen Wölfe mit ihrem säkularen Nationalismus dem politischen Islam der AKP doch traditionell wenig abgewinnen. Dem ungleichen Paar schloss sich 2021 eine Kleinpartei namens Büyük Birlik Partisi (BBP) an, Partei der Großen Einheit. Ideologisch ist die BBP eine Symbiose aus Ultranationalismus und islamischem Konservatismus und damit eine sinnvolle Ergänzung der Regierungskoalition, wenn auch numerisch kaum relevant.
Jetzt, in letzter Sekunde, sprechen zwei weitere kleine Parteien dem Bündnis ihre Unterstützung aus. Die Yeniden Refah Partisi (YRP), Neue Wohlfahrtspartei, ist Nachfolger der ersten relevanten islamistischen Partei des Landes, der Refah Partisi. In den Neunzigerjahren hatte Refah ein kurzes Gastspiel als Regierungspartei, bevor ihr Gründer Necmettin Erbakan nach nur einem Jahr Amtszeit als Ministerpräsident von damals noch stramm laizistischen Beamtenkreisen zum Rücktritt gedrängt wurde. Sein Sohn Fatih Erbakan ist es, der jetzt die Nachfolgepartei anführt und mit Äußerungen wie dieser Warnung glänzt, Frauen mit COVID-Impfung könnten womöglich „Kreaturen“ gebären, die „halb Mensch, halb Affe“ seien. Der Chef der Jugendorganisation der YRP in Istanbul, Sadık Tunç, versprach in einem Tweet zum 97. Jahrestag der Auflösung des Osmanischen Kalifats: „Die Tage, an denen wir die Scharia erneut ausrufen, sind nah“.
Letzter im Bunde ist die Hür Dava Partisi, kurz HÜDAPAR, etwa Partei des Freien Kampfes. Die 2012 gegründete Partei vereint Anleihen an der kurdischen Befreiungsbewegung, etwa eine Rückbenennung kurdischer Städte in ihre ursprünglichen Namen, mit extrem konservativen Forderungen wie der Kriminalisierung von Ehebrüchen und dem Verbot von LGBTQ-Vereinen. Ein weiteres Kernanliegen ist die Abschaffung spezieller Gewaltschutzgesetze für Frauen. Entstanden ist die Partei aus der kurdisch-islamistischen Miliz Hizbullah, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen libanesischen Organisation. Hizbullah kämpfte in den Neunzigerjahren gegen die linksgerichtete kurdische Bewegung, griff kritische Journalisten an und verübte mehrere Selbstmordanschläge.
In dieser Gesellschaft will Erdoğan nun seine Macht sichern. Ein „Taliban-Bündnis“ nennt es der inhaftierte Chef der linken HDP Selahattin Demirtaş. Wenn sie gewinnen, könne es „für Frauen die letzte Wahl werden“. Politikwissenschaftler Güven Gürken Öztan kommentierte in der linken Zeitung BirGün, es handle sich um die rückschrittlichste Koalition in der Geschichte des Landes. „Im hundertsten Jahr der Republik haben sich Sekten und Banden versammelt, die nicht einmal die Anfangsbuchstaben von Freiheit oder Gleichberechtigung ertragen“, so Öztan. Um jeden Preis müsse dafür gesorgt werden, dass das Bündnis verliert. „Für junge Menschen, Frauen, Arbeiter und Millionen von Bürgern, die ein freies Land wollen, gibt es keine andere Möglichkeit.“
Foto: Timo Schlüter