16. März 2021
Kolumne von Hatice Akyün
Ich bin verwirrt! Das passiert nicht häufig, was auf der einen Seite etwas mit meinem Alter zu tun hat und ich andererseits weiß, dass nichts so heiß gegessen wird wie gekocht. Oder wie wir es in meiner Heimat Ruhrgebiet sagen: Ich habe schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen.
Ich muss ein wenig ausholen, um die Situation in einen Kontext zu bringen: Letzte Woche habe ich auf Twitter das Interview von Oprah Winfrey mit Prinz Harry und Meghan Markle heftig kritisiert. Meine Überzeugung ist, dass man familiäre Auseinandersetzungen mit einem Familientherapeuten löst und nicht damit, indem man seine dreckige Wäsche in der Öffentlichkeit wäscht. Das gilt für Familie Müller oder Akyün genauso wie für Familie Windsor.
Nun ging es in dem Interview aber nicht nur um Familienangelegenheiten, sondern auch um Anschuldigungen, dass Harrys Familie sich rassistisch gegenüber seiner Frau Meghan und das gemeinsame Kind verhalten habe. Niemand von außen kann natürlich wissen, ob das stimmt, aber vorstellen kann man es sich schon, wenn man weiß, dass die Königsfamilie noch nie zimperlich mit denjenigen umgegangen ist, die als Gefahr für die Monarchie empfunden wurden. Das aber war gar nicht meine Kritik. Meine Lebenserfahrung hat mich nämlich auch gelehrt, dass es immer mindestens drei Seiten einer Geschichte gibt: Die eine, die andere und die Wahrheit.
Ich habe lange in den USA gelebt und kenne Oprah Winfreys Interviews seit den 90er Jahren gut. Es ist kein journalistisches Meisterwerk, was sie Harry und Meghan entlockt hat. Die Stars gehen zu ihr, um in der Öffentlichkeit mit Menschen aus ihrem Umfeld abzurechnen. Und das habe ich kritisiert. Daraufhin wurde mir Misogynie und Rassismus vorgeworfen. Nun bin ich selbst nicht gerade zimperlich, was das Austeilen angeht, kann Angriffe also gut vertragen, aber das Traurige ist, dass diese Vorwürfe gegen mich es den echten Rassist:innen und Frauenhassern sehr einfach machen. Das führt leider oft dazu, dass man sich mittlerweile drei Mal überlegt, ob man sich zu einem Thema äußert oder nicht.
Ich weiß, dass es einigen ähnlich mit den Äußerungen zum Debattenbeitrag über Identitätspolitik von Wolfgang Thierse ging. Er sagte in der FAZ: „Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und Gender werden heftiger und aggressiver. Identitätspolitik darf nicht zum Grabenkampf werden, der den Gemeinsinn zerstört.“ Ganz ehrlich? Ich finde, Wolfgang Thierse hat mit vielem Recht, was er sagt. Dadurch, dass wir Debatten in dieser Form führen, spaltet sich unsere Gesellschaft immer weiter. Das Fatale aber ist, dass es in die Hände jener spielt, deren einzige Intention es ist, einen Keil zwischen die zu treiben, die mit ihren Überzeugungen und Werten eigentlich auf der richtigen Seite stehen.
Ein gutes Beispiel dafür ist linke Politik. Gerade in Berlin, wo ein Rot-Rot-Grünes Bündnis regiert, zeigt sich, wie sehr die sozialen Themen in den Hintergrund rücken und zu akademischen Debatten gemacht werden. Das führt dazu, dass jeder, der sich intellektuell nicht in der Rassismus-, Gender- und Postkolonialismusforschung auskennt, auch nicht mehr beteiligen kann. Denn während wir uns immer mehr um unseren eigenen Bauchnabel drehen, können sich andere sicher sein, dass auch die zehnte Korruptionsaffäre ihnen nichts anhaben wird. Und während Kritik zum Rassismus oder zur Misogynie erklärt wird, freut sich die AfD darüber, dass niemand mehr ihren wirklich lupenreinen Rassismus beachtet.
Identitätspolitik bedeutet nämlich auch, sich dafür stark zu machen, dass Standpunkte und Werte aus den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Schichten in unserer Gesellschaft repräsentiert werden. Neben Herkunft und Kultur, verbinden uns auch die Grundwerte der Demokratie. Denn eines ist niemals verhandelbar: unsere Menschenrechte.
Foto: Oliver Mark