23. Dezember 2021
Von Matthias Meisner
Ich muss neun Jahre alt gewesen sein. Das Kino in meiner hessischen Heimatstadt Langen hatte im Einkaufszentrum auf dem Weg zu meiner Grundschule, zwischen Bezirkssparkasse und Optiker, einen Schaukasten aufgestellt, in dem immer das aktuelle Filmprogramm vorgestellt wurde. Irgendwann im Jahr 1970 hing auch ein „Schulmädchenreport“-Plakat dort. Den Film durften wir Grundschüler natürlich nicht anschauen. Und ich wusste auch nicht, dass die Hauptdarstellerin auf dem Plakat Lisa Fitz heißt. Erst recht nicht zu ahnen war, dass die Frau vom Filmplakat ein halbes Jahrhundert später in mein Leben treten würde – als Corona-Schwurblerin.
Denn in dieser Rolle hat Fitz es zu einiger Berühmtheit gebracht, wenigstens für den Moment hinausgehend über ihre Auftritte als Kabarettistin auf Bühnen in der Provinz und manchmal auch in großen Städten.
In der jüngsten Folge der für den Südwestrundfunk produzierten Comedy „Spätschicht“, moderiert von dem eigentlich souveränen Florian Schroeder, hatte Fitz es verschwörungsideologisch richtig krachen lassen: Omikron? „Panikmache!“ Pharmakonzerne? „Ganoven!“ Dazu noch eine Portion Rassismus: „Da wird geboostert und geroostert und geschustert, nach Delta und Omikron kommt die Xanthippen- und die Zombie-Mutante aus Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Dings-was-weiß-ich-Vergiss-es-dann. Hauptsache, die Panik bleibt frisch.“ Und vor allem eine pure Desinformation über angeblich inzwischen 5000 Impftote in der Europa, abgekupfert aus dem Entschließungsantrag einer rechtsextremen französischen EU-Parlamentarierin zur Entschädigung von „Covid-19-Opfern“, der nie umgesetzt wurde.
Lisa Fitz hält Warnungen vor #Omikron für „Panikmache“ – und behauptet, für 5000 Menschen seien „die Folgen durch die Covid-Impfstoffe tödlich“ gewesen. Und das in der @SWRpresse/@3sat-Sendung #Spätschicht. Gehört Schwurbeln jetzt zum Programmauftrag? #FehlenderMindestabstand pic.twitter.com/A8T3G68yxr
— Matthias Meisner (@MatthiasMeisner) December 17, 2021
Aber so ist das mit den unseren Idolen – und der vermeintlichen Meinungsfreiheit. Anfang Dezember, wenige Tage vor der ersten Ausstrahlung der „Spätschicht“-Folge „Lisa Fitz vs. Jens Spahn“ trat die Kabarettistin in der Neuen Stadthalle auf, dem Kultur-Tempel meiner Heimatstadt. Die Ankündigung steht noch immer im Netz, Fitz wird dort gefeiert für ihre „unerschöpfliche Energie“, angepriesen als „bayrische Urgewalt“, „Enfant terrible“, „Aufklärerin“, „Pionierin des Frauenkabaretts“, „Bürgerschreck“, „Unikat“ und „Politikum“. Eine Claudia Klinsmann, wer immer das ist, preist Lisa Fitz als „rasierklingenscharfes Weib“ und „Kraftwerk mit eigener Wiederaufbereitungsanlage“.
Klar, Satire soll manches dürfen. Aber gerade wenn sie im Gewand der „Aufklärung“ daherkommt, hat sie auch eine Verantwortung. Die haben schon allerlei Fernsehschauspieler:innen bei der Video-Aktion #allesdichtmachen missachtet. Sie wurde – nicht zum ersten Mal – auch von Lisa Fitz ignoriert. Ihr Auftritt, gerade im öffentlich-rechtlichen Programm, hätte nach einem doch eigentlich obligatorischen Faktencheck nicht durchgehen sollen. Doch der SWR hatte den Beitrag von Lisa Fitz zwar zunächst „heikel“ und „insbesondere in seiner Wirkung schwierig“ genannt, die Ausstrahlung aber trotzdem verteidigt. Dies geschah auch aus Angst vor dem „möglichen und erwartbaren Vorwurf der Zensur“. Erst nach Wirbel im Netz und einem gehörigen Shitstorm ruderte der Sender zurück: Meinungsfreiheit ende „auch in einer Comedy- oder Satiresendung bei falschen Tatsachenbehauptungen“, schrieb der zuständige Programmdirektor in einer revidierten Stellungnahme.
Angestachelt von ihren „Vorbildern“ werden in der Coronakrise all diejenigen, die denen „da oben“ ohnehin misstrauen. Landauf, landab – von Brüssel über Idar-Oberstein bis Annaberg-Buchholz – schlägt Protest in Gewalt um. Im Erzgebirge umringten 25 Coronaleugner:innen, die in einer Disko eine illegale Party feiern wollten, am Wochenende einen Polizisten und schlugen ihn krankenhausreif.
Parallel gibt es den verbreiteten Irrglauben, die Radikalisierung der Szene setze eben erst ein: Erst am Montag sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, im Deutschlandfunk mit Blick auf die „Spaziergänge“ von Coronaleugner:innen, es handele sich um eine „neue Form von Demonstrationen“ – als ob es die Aufmärsche von Pegida nie gegeben hätte, als ob die Bedrohung der Demokratie durch die Querdenken-Szene nicht seit eineinhalb Jahren vorhanden sei.
Zur Erinnerung ein Satz von Heike Kleffner aus unserem im Frühjahr erschienenen Sammelband „Fehlender Mindestabstand“: „Es ist vielmehr eine Wechselwirkung zwischen Hasskampagnen im Netz, Aufmärschen auf den Straßen und einem hoch emotionalisierten politischen und gesellschaftlichen Diskurs wie zuletzt anlässlich der ,Flüchtlingskrise‘ in den Jahren 2015/16, die eine bis heute anhaltende Welle rassistisch, antisemitisch und sonstiger rechts motivierter Gewalt und Terrors ausgelöst hat, die sich nun unter der Pandemie weiter zuspitzt.“
Was tun? Der Dialog mit der extremen Rechten gehört auf den Index – er würde auch die verwirrte „Querdenker:innen“-Szene nur aufwerten. Die tolle österreichische Autorin Ingrid Brodnig hat sich die Frage gestellt, wie Menschen zu erreichen sind, die einem wichtig sind. Mit ihrem neuen Buch „Einspruch!“ (Brandstätter Verlag) hat sie einen Ratgeber vorgelegt, wie Verschwörungsmythen und Fake News in der Familie, im Freundeskreis und online zu kontern sind. Sie schreibt im Vorwort des Titels, der mit dem NDR-Sachbuchpreis ausgezeichnet wurde: „Menschen gehen sogar auf die Straße und wiederholen dort das, was sie zuerst in wütenden Online-Gruppen gelesen haben.“ Es werde nicht bei falschen und spekulativen Behauptungen sowie haltlosen Gerüchten zur Corona-Pandemie bleiben, „auch zu Themen wie der Klimakrise, der Migrationsdebatte oder der Frage des Impfens kursiert viel Falsches“.
Man wünscht sich, jemand würde Lisa Fitz das Buch „Einspruch!“ unter den Gabentisch legen. Man wünscht sich, dass viele noch empfänglich sind für Argumente – und nicht so weit abgedriftet, dass ein Gespräch keinen Sinn mehr macht. Man wünscht sich, ja, frohe Weihnachten.