06. Februar 2022
Kolumne von Ruprecht Polenz
Staaten schmücken sich mit den Olympischen Spielen. Diktaturen stellen sie ins Schaufenster, um der Welt ein Angebot vorzugaukeln, das sie den unterdrückten Menschen im eigenen Land vorenthalten. Der Glanz der Spiele soll die dunklen Seiten der Menschenrechtsverletzungen überstrahlen. Das IOC (International Olympic Committee) hilft beim Dekorieren, solange die Kasse stimmt.
Wenn jemand fragt, warum das IOC beim Vorspiegeln falscher Tatsachen hilft, heißt es, man kümmere sich nur um den Sport, dieser sei neutral und habe mit Politik nichts zu tun.
Spätestens seit 1936 wissen wir, dass das nicht stimmt. Aber so richtig gelernt hat die olympische Bewegung daraus nicht.
Beim Vergeben der Spiele werden genaueste Maßstäbe an die Qualität der Wettkampf-Stätten angelegt. Das IOC achtet peinlich darauf, dass den eigenen Sponsoren vor Ort niemand in die Quere kommt und dass das mit der Steuervermeidung klappt. Sehr vage und allgemein ist zwar die Rede davon, dass freie Presseberichterstattung gewährleistet sein müsse. Aber ob und wie die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen im Gastgeberland umgesetzt sind, interessiert bei der Vergabe der Spiele nicht die Bohne.
„In unserer brüchigen Welt, in der Spaltung, Konflikte und Misstrauen ständig zunehmen, zeigen wir der Welt: Ja, es ist möglich, erbitterter Gegner zu sein, zugleich friedlich und respektvoll zusammen zu leben“, hat der IOC-Präsident Thomas Bach am Freitag bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking gesagt. Aber kein Wort dazu, ob dieses friedliche und respektvolle Zusammenleben im Gastgeberland selbst gewährleistet ist. Er hätte sich bei den Menschen in Xinijang, in Tibet oder in Hongkong danach erkundigen können.
In demokratischen Staaten nimmt deshalb die Kritik am IOC zu. Immer mehr Sportler:innen sind nicht länger bereit, sich mit der Regel 50, die ihnen politische Meinungsäußerungen während der Olympiade verbietet, einen Maulkorb umhängen zu lassen.
Wer sich freilich die IOC-Strukturen mit ihren Berufungs- und Kooptationsregeln anschaut, wird nicht erwarten, dass sich daran etwas ändert. Es wird im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen bei den drei olympischen Affen bleiben: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Das würde sich ändern, wenn die Sportler:innen selbst mehr zu sagen hätten, wenn es um olympische Spiele geht. Obwohl es ohne sie nichts im Fernsehen zu übertragen oder zum Feiern gäbe, haben sie kaum Mitbestimmungsrechte, wenn es um die Vergabe der olympischen Spiele, die Verteilung der Gewinne oder die olympischen Regeln geht.
Es gibt zwar sog. Athleten-Kommissionen. Aber diese sind eher dazu gebildet, den Nationalen Olympischen Komitees und dem IOC die Möglichkeit zu geben, sich selbst als Vertretung der Sportler:innen darzustellen. Feigenblätter angeblicher Mitbestimmung, keine eigenständige Vertretung der Sportler:innen.
Es wird höchste Zeit, dass sich die Athlet:innen selbst organisieren. Auf nationaler Ebene und gemeinsam gegenüber dem IOC. In Deutschland hat sich „Athleten Deutschland“ gebildet, eine vom Deutschen Olympischen Sportbund unabhängige Organisation. Ähnliches gibt es in Kanada.
Strukturen zu verändern dauert oft lange. Und bei so vielen verschiedenen Sportarten und Ländern ist die Selbstorganisation von Sportler:innen sicher kein einfaches Unterfangen. Aber Regierungen könnten das unterstützen, indem sie ihre Sportförderung davon abhängig machen, dass Sportler:innen wirklich mitbestimmen können. Es geht schließlich um sie. Olympische Spiele gehören in erster Linie den Sportler:innen selbst.
Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP