04.Mai 2020
Kolumne von Michael Bittner
Wo immer einer von sich behauptet, er habe „Werte“, sollte man misstrauisch werden. So reden Leute, die gewöhnlich mit Vermögenswerten, Grundstückswerten und Wertpapieren zu tun haben. Sie können sich auch die Moral nur als einen Besitz vorstellen. Und sie sind, da sie viel besitzen, fest überzeugt davon, sie wären auch Eigentümer der Moral. Unbegreiflich ist ihnen, dass man „Werte“ nicht „haben“, sondern nur zeigen kann, indem man in entscheidenden Augenblicken richtig handelt. Mit der praktischen Humanität haben aber gerade diejenigen Schwierigkeiten, die sich anderen Menschen auf Grund von kolossalen „Werten“ überlegen wähnen. Sie sind so rein, dass es ihnen widerwärtig ist, sich die Finger zu beschmutzen.
Die „Werte-Union“, eine politische Sekte am rechten Rand der CDU, ist so ein Fall. Ihre moralische Überlegenheit leiten die Werteunionisten vom „christlichen Menschenbild“ ab. Sie haben nicht nur immer ein paar große Scheine, sondern auch Jesus in der Tasche. In ihrem Programm geht deshalb die Verteidigung des christlichen Abendlandes mühelos mit der Verteidigung der deutschen Sparguthaben zusammen. Als schlimmste Bedrohung müssen ihnen naturgemäß Flüchtende aus dem Süden erscheinen, die oft nicht nur arm, sondern auch noch muslimisch sind. Deutschland sei „ungeeignet zur Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen“, schreibt die Werte-Union in ihrem „Konservativen Manifest“. Denn Deutschland sei „dicht besiedelt“ und seine „Mittel begrenzt“. Armes Deutschland! Wer im Überfluss lebt, spricht gerne von Knappheit, sobald es ans Teilen geht.
Auch gegen die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus elenden Flüchtlingslagern in Griechenland haben sich die Werteunionisten jetzt ausgesprochen. Eine solche Rettung entfalte nämlich eine unerwünschte „Sogwirkung“. Und in der Zeit von Corona könnten die Kinder ja sogar krank sein! Das ist eben das Lästige an menschlicher Hilfsbereitschaft: Sie zieht hilfsbedürftige Menschen an. Der unbedarfte Beobachter fragt sich: Wo bleibt nur das „christliche Menschenbild“ der Werte-Union? Ist es etwa bloß ein Kitschgemälde, das zur Dekoration in der guten Stube an der Wand hängt? Ist ihnen gar nicht der HERR heilig, sondern nur der „Fachkräftebedarf“ des deutschen Kapitals, der allenfalls ein bisschen Migration entschuldigt?
Ehrlicher wär’s doch, die Werteunionisten schrieben gleich die Bibel um, damit niemand mehr ihnen so augenfällige Widersprüche vorwerfen kann. Der Werte-Jesus könnte predigen: „Lasset die Kinder nicht zu mir kommen und wehret ihnen – denn sie haben vielleicht Corona. Solche Aussätzigen rühre ich grundsätzlich nicht an.“ Ich fürchte, die Werteunionisten werden meinem guten Rat nicht folgen, sondern sagen: Religion und Moral haben in der Politik nichts zu suchen. Sie ist ein hartes Geschäft. Das wäre immerhin ehrlicher Nihilismus – würden sie nicht selbst behaupten, politische Verwalter des Christentums zu sein. So bleibt nur eine gerechte Lösung: ihre Umbenennung in Heuchler-Union.
Foto: Amac Garbe