13. Februar 2021
Kolumne von Matthias Meisner
Er ist als „Don Alphonso“ bekannt – und berüchtigt: der Blogger Rainer Meyer, Jahrgang 1967, aufgewachsen in Ingolstadt. Lange auf den Seiten der „FAZ“ unterwegs, bevor es dem Blatt aus Frankfurt mit ihm zu dumpf wurde. Inzwischen bei der „Welt“, beständig angefeuert vom Chefredakteur Ulf Poschardt. Wer von Meyer als Opfer ausersehen ist, verflucht den Tag der virtuellen Bekanntschaft. Denn der ist oft der Auftakt heftiger Shitstorms, Hasswellen, bei denen Meyer als Stichwortgeber wirkt, ohne selbst in einen justiziablen Bereich zu gelangen.
Vor ein paar Tagen sezierte Antonia Baum auf „Zeit online“ unter der Überschrift „Markierte Zielpersonen“ die Masche Meyer und deren Folgen. Sie beschrieb, wie die Menschen, die Rainer Meyer nicht mag, wie manchmal auch deren Familien, „teilweise über Jahre hinweg Beschimpfungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen ausgesetzt“ seien, „mutmaßlich ausgehend von den mutmaßlich rechtsextremen Rainer-Meyer-Fans“. Die „taz“ schrieb, die meisten der Meyer-Texte würden „nur ganz knapp an toxischen Tagebucheinträgen eines abgehängten Wüterichs vorbeischrammen“.
Das ist nicht neu. Umso verwunderlicher war es, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den Blogger Meyer 2018 in die siebenköpfige Jury des Medienpreises des Deutschen Bundestages berief. Ihn damit also in den erlauchten Kreis der Journalist:innen erhob, die über die Vergabe des 1993 erstmals ausgelobten und mit 5000 Euro dotierten Preises entscheiden, der für „herausragende publizistische Arbeiten“ vergeben wird, die zum vertieften Verständnis parlamentarischer Abläufe beitragen. Der Preis in diesem Jahr geht an Nico Fried und Boris Herrmann von der „Süddeutschen Zeitung“ für ihre Reportage über die Beratungen zum Bundeshaushalt 2020.
Schäuble ist also mitverantwortlich dafür, dass die groben Verzerrungen in Meyers Kolumnen und Tweets durch dessen Amt in der Bundestags-Jury veredelt werden. Der CDU-Politiker ist nun, gottlob, dabei, die Reißleine zu ziehen. Ein Nebensatz in der Mitteilung über den Preis 2021 an die „SZ“-Reporter Fried und Herrmann hat es in sich: „Über die Vergabe des Medienpreises Parlament 2022 entscheidet die vom Bundestagspräsidenten bzw. der Bundestagspräsidentin zu Beginn der 20. Legislaturperiode neu berufene Jury.“
Das war früher anders. Nach der Bundestagswahl 2017 wirkte die Jury für den Medienpreis zunächst weiter und entschied noch über die Vergabe im Jahr 2018. Im Herbst wird ein neuer Bundestag gewählt, vielleicht gibt es danach auch einen neuen Bundestagspräsidenten, vielleicht bleibt es auch Schäuble. In jedem Fall aber, so ist aus dem Parlamentspräsidium zu erfahren, steht die erneute Berufung von Meyer alias „Don Alphonso“ als Juror zur Disposition. Von einer „Neujustierung“ ist in den Bundestagskreisen die Rede. Und davon, dass Schäuble „gesichtswahrend“ den Konflikt um Meyer lösen könne, wenn bald nach der Wahl die Medienpreis-Jury völlig neu zusammengesetzt wird. Die Ablösung Meyers wäre ein Zeichen, dass Hass keine Meinung ist. Das wäre ein wichtiges Zeichen, gerade für unser Parlament.
Wirklich glücklich ist Schäuble mit Jury-Mitglied Rainer Meyer nicht geworden. Die offizielle Sprachregelung aber blieb: „Diese Jury wurde im Mai 2018 auf der Grundlage von Vorschlägen der Wissenschaftlichen Dienste teilweise neu besetzt.“ Es sei stets darum gegangen, in der Jury die „Vielfalt der Medien widerzuspiegeln und dabei auch neue Entwicklungen im Medienbereich zu berücksichtigen“. Politische Ausrichtungen würden hingegen nicht bewertet.
2019 berichtete der Deutschlandfunk ausführlich über Kritik an der Jury-Berufung von Rainer Meyer. Der Sender zitierte unter anderem die grüne Parlamentsvizepräsidentin Claudia Roth mit dem Vorwurf, Meyer gehe mit seiner Kunstfigur „Don Alphonso“ zu weit: „Für mich hat die Meinungsfreiheit dann Grenzen, wenn sie zur Verhetzung führt, wenn Hass gepredigt wird, und wenn soziale Gruppen ausgegrenzt und verhetzt werden. Das passiert regelmäßig, wenn er Geflüchtete pauschal abwerten will, wenn er – Zitat – von der ,Gaudi-Migration‘ spricht.“ Der parteilose Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, früher SPD, schrieb im August 2020 an Schäuble(Tagesspiegel): „Mich erreichen Zuschriften von Journalist:innen, die ihre Beiträge nicht einreichen wollen, weil der Medienpreis seinen unabhängigen Ruf verloren hat.“ Ende Januar 2021 schrieb die Journalistin Nicole Diekmann auf Twitter: „So lange Don Alphonso in der Jury des Medienpreises des Bundestages sitzt, ist die Kritik hier leider nur ein leises Pfeifen im Wind.“ Der Linken-Politiker Stefan Liebich erklärte: „Als Mitglied des Bundestages finde ich es nicht akzeptabel, dass Herr Meyer in der Jury unseres Medienpreises sitzt. Nichts gegen ordentliche Konservative, aber er ist einfach ein schlechter Mensch.“
Auch die Jury-Vorsitzende Claudia Nothelle von der Hochschule Magdeburg-Stendal geht jetzt vorsichtig auf Distanz: „Normalerweise beschäftigten wir uns mit den einzelnen Beiträgen und nicht mit dem, was die Jurykolleginnen und -kollegen so treiben. Dennoch gehen diese Debatten selbstverständlich nicht spurlos an uns vorüber. Ich kann nur sagen: Ich stehe für einen Journalismus, der nicht hetzt, nicht beleidigt und nicht menschenverachtend ist.“ Aus der Jury selbst waren lange keine bösen Worte über Meyer gedrungen. Im Gegenteil, sogar von einer „guten kollegialen Zusammenarbeit“ in dem Gremium war die Rede.
Wie das System Meyer funktioniert, dazu machte der Autor dieser Kolumne selbst mehrfach persönliche Erfahrungen. 2016 versuchte der Blogger, ihn in einem Text in der „FAZ“ zum Auftragsschreiber der Amadeu-Antonio-Stiftung zu stilisieren. Das gewagte Gedankenkonstrukt gipfelte in Meyers „Eindruck“, es gehe um ein „orchestriertes Schauspiel“, wie „es beispielsweise vor 1989 zwischen SED und ,Neuem Deutschland‘ üblich war“. Sein Text gefiel Meyer so gut, dass er ihn immer wieder verlinkte, zuletzt vor ein paar Wochen in der „Welt“ in einem Text über die „Tagesspiegel“-Autorin Fatina Keilani. Die Empörung über Keilani bewertete Meyer als „Anschlag auf die Pressefreiheit“, er sprach von „steuerfinanzierter Hetze“. Kaum eine Zuspitzung ist „Don Alphonso“ zu waghalsig und zu blöd.
Ende Januar 2021 fragte der Autor dieser Kolumne auf Twitter, wie „Don Alphonso“ in die Jury des Medienpreises des Bundestages gelangt ist, was ihn dafür qualifiziert und warum er dort immer noch sitzt. Die Meyer anhängenden Internetkrieger zeigten sich nach diesen harmlosen Fragen von ihrer üblen Seite. Es hagelte Beschimpfungen wie „Hetzer“, „Linksfaschist“, „Relotius“, „linke Schmiernaille“ und „Haltungsjournalist“, von einer „Rufmordkampagne“ war die Rede. Es wirkte, als ob das Team „Don Alphonso“ jedes Maß und jeden Anstand verloren hätte – falls überhaupt je vorhanden.
Meyer wirkt als Propagandist dieses Mobs, er ist der Treiber. Es ist eine redaktionelle Entscheidung etablierter Medien, ihm ein Forum zu bieten. Zur „FAZ“ wurde Meyer von Frank Schirrmacher geholt. „Don Alphonso“ schrieb dort zunächst in einer Light-Version, vergleichbar mit der einst feinen Ironie des jungen Harald Martenstein. Nach dem Tod Schirrmachers 2014 schrieb der Blogger noch ein paar Jahre weiter für die „FAZ“, obwohl seine Tonalität längst zu heftigen Diskussionen in der Redaktion geführt hatte. Die Zeitung trennte sich von ihrem Kolumnisten, nachdem Carsten Knop als Nachfolger von Mathias Müller von Blumencron Chefredakteur für die digitalen Produkte der „FAZ“ wurde. Ulf Poschardt herzt „Don Alphonso“ weiter.
Foto: Dora Meisner