09. August 2020
Kolumne von Robert Fietzke
Nächstenliebe, Humanismus, Menschenrechte – Politiker*innen mit Regierungsverantwortung lieben das Bedeutungsschwangere und den Pathos, der in diesen Worten mitschwingt. Wer hat schon etwas gegen Nächstenliebe und das ganze andere Gedöns? Natürlich müsse Menschen in Not geholfen werden. Selbstverständlich stünde Deutschland zu seiner Verantwortung in der Welt. Konnte nicht die ganze Welt das große Herz der wiedergut gewordenen Deutschen im Sommer 2015 bewundern? Sind wir nicht alle Willkommensweltmeister? Während das Phrasenschwein fleißig mit wohlklingenden Worten gefüttert wird, sterben Menschen im Mittelmeer weiterhin einen kalten, einsamen Tod.
„Wir erleben jeden Tag großartiges Engagement und Nächstenliebe“ lobt der bayerische Ministerpräsident und heißeste Anwärter auf die kommende Kanzlerschaft seine Bevölkerung in einer fröhlich-mutmachenden Osterbotschaft. Wenige Wochen zuvor posierte er anpackend in einer Zellstoff-Fabrik, um sich höchstpersönlich einen Überblick über die bayerischen Klopapier-Bestände zu verschaffen. An den Küsten Südeuropas mit ihren gestrandeten Rettungswesten und zerschellten Booten hat man Markus Söder bisher aber noch nicht gesehen, dafür aber das rechtspopulistische Wort vom „Asyltourismus“ schwingend.
80 Millionen Menschen sind es inzwischen, die weltweit auf der Flucht vor Krieg, Unterdrückung und den Folgen der Klimakatastrophe sind. Bildeten alle Geflüchteten ein Land, es wäre das 20.-größte Land der Erde.
„Menschen, die weltweit von Flucht und Vertreibung betroffen sind, müssen ein Leben in Würde führen können“ bemerkt Außenminister Heiko Maas zum Weltflüchtlingstag. Ein Leben in Würde. Das klingt schön. Noch schöner wäre es, wenn Worte allein die im Dreck spielenden Kinder des völlig überfüllten Flüchtlingslagers in Moria retten könnten. Oder ein Show-Besuch von Armin Laschet, der sich ebenfalls Hoffnungen auf die Merkel-Nachfolge macht und kaum eine Gelegenheit versäumt, den harten Hund in der „Flüchtlingskrise“ zu geben. „Ministerpräsident will jeden, der illegal die Grenze überschreitet, in die Türkei zurückführen.“, „Laschet rät Europa zur harten Grenze.“ – Kein Wunder, dass er vor ein paar Tagen in Moria nicht gerade wohlwollend empfangen wurde. „Free Moria“ riefen die Menschen, deren humanitäre Situation ihm lediglich einen staatsmännischen Vor-Wahlkampf-Akt wert zu sein scheint. Und so wird auch diese pure politische Inszenierung nichts, aber auch gar nichts ändern an den Zuständen in Moria, diesem Fanal des humanitären Versagens eines ganzen Kontinents.
Worte allein haben noch nie auch nur ein Menschenleben gerettet. Worte verflüchtigen sich bereits im Moment des Aussprechens im Morast von Moria. Es ist einzig die konkrete Tat, die hilft. 20.000 Menschenleben sind es, die seit 2014 eine helfende Hand, ein Schiff, einen Hafen gebraucht hätten. Stattdessen ließ die „europäische Wertegemeinschaft“ sie mit Worten schwer wie Bleigewichte auf den Meeresgrund hinabsinken. Es wäre schon viel gewonnen, würden diejenigen, die gerne viele Worte verlieren, einfach die machen lassen, die konkret helfen wollen, statt ihre Arbeit aktiv zu torpedieren: Die zivilen Seenotretter*innen, die
aufnahmewilligen Kommunen, die „sicheren Häfen“, die Bundesländer. Und es wäre schon viel gewonnen, wenn Horst Seehofer endlich zurücktreten würde.
Foto: Robert Fietzke