04. April 2021
Kolumne von Ruprecht Polenz
Über Ostern fährt das Impfzentrum in Münster Volllast. Täglich werden 2000 Menschen geimpft, von 08.00 bis 20.00 Uhr. Die Woche nach Ostern kommen die Hausärzt:innen dazu. Bis Ende April wird jede Praxis täglich 20 und mehr Personen impfen können. Die Hersteller der Impfstoffe haben ihre Produktion inzwischen exponentiell hochgefahren und entsprechende Lieferungen garantiert.
Biontech hat jetzt angekündigt, in diesem Jahr 2,5 Mrd Impfdosen zu produzieren und die bisher geplante Menge um weitere 500 Mio aufzustocken. Damit sollte das von der Bundesregierung verkündete Ziel erreichbar sein, dass bis Ende des Sommers allen Impfwilligen ein Angebot gemacht werden kann. Und alle, die zu einer Gruppe mit erhöhtem Risiko gehören – das ist fast die Hälfte der Bevölkerung – werden wohl bis zu den Sommerferien geimpft sein.
Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie werden allerdings viel länger spürbar sein. Wir werden darüber diskutieren, ob die Ausgleichszahlungen ausreichen, die die Krankenhäuser dafür erhalten, dass sie Operationen zurückstellen mußten, um Intensivbetten für Corona-Erkrankte freizuhalten.
Wir werden große Anstrengungen unternehmen, so hoffe ich, die Pflegeberufe so attraktiv zu machen, dass Pflegenotstände endgültig der Vergangenheit angehören.
Das öffentliche Gesundheitswesen muss personell und technisch deutlich verstärkt werden. Wir haben in der Krise schmerzlich gelernt, wie sich fehlende digitale Vernetzung auswirkt.
Die Städte werden Programme brauchen zur Revitalisierung ihrer Innenstädte, denn viele Einzelhändler, Cafés und Restaurants werden die Pandemie nicht überlebt haben. Wahrscheinlich wird auch die Arbeitslosigkeit steigen, wenn das Kurzarbeitergeld ausläuft, das Insolvenzrecht wieder voll greift und die Pleiten zunehmen.
Damit die Wirtschaft letztlich gestärkt aus der Krise herauskommt, wird es Hilfen zur Umstellung auf nachhaltige, klimaneutrale Produktion und Wirtschaftsweise geben müssen.
Das alles wird viel Geld kosten und die genannten Gruppen werden diese Gelder lautstark einfordern. Wir müssen aber auch noch in einem anderen, für unsere Zukunft außerordentlich wichtigen Bereich gestärkt aus der Krise herauskommen, der leider keine lautstarke Lobby hat. Es geht um unsere Kinder und das Bildungswesen.
Beim ersten Lockdown vor einem Jahr waren die Schulen durch verlängerte Osterferien das erste Mal geschlossen worden. Aber die Zeit wurde nicht genutzt, um sich auf ein Ausnahmejahr vorzubereiten. Man hatte den Eindruck: nach Ostern machen die Schulen wieder auf und alles geht so weiter wie vorher.
So wurde viel Zeit vertan, um auf die Pandemie angemessen zu reagieren. Die mangelhafte Ausstattung von Schüler:innen und Lehrer:innen mit Laptops und Tablets ist bis heute ein Thema. Es fehlt an Fortbildung für Lehrer:innen für digitalen Unterricht. Die digitalen Lernplattformen stecken noch in den Kinderschuhen.
Besonders Kinder aus einkommensschwachen Familien haben unter dem Stop-and-Go-Unterricht des vergangenen Jahres gelitten. In Zeiten des Distanzunterrichts machte sich das fehlende Tablet bei ihnen besonders bemerkbar.
Auch Kinder aus Einwanderer-Familien, die noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, hatten es besonders schwer. Die Eltern konnten oft aus demselben Grund nicht helfen. Dazu wirkten sich die stark verminderten Kontakte mit einheimischen Mitschüler:innen für sie besonders negativ aus.
Wenn es nach den Sommerferien keine Corona-Beschränkungen für die Schulen mehr geben sollte: Wie wird das neue Schuljahr starten? Werden die Schulen davon ausgehen, dass der Stoff des Corona-Jahrs von den Schüler:innen mehr oder weniger beherrscht werden muss?
Werden sie einfach weitermachen, wie nach einem x-beliebigen Schuljahr? Wird man es bei ein paar Nachhilfe-Programmen belassen für die Schüler:innen mit größeren Lernlücken? Oder werden die Kultusminister:innen die Chance für grundlegende Reformen nutzen?
Damit schwächeren Schüler:innen nicht die doppelten Lernleistungen abverlangt werden – Nachhilfe, um aufzuholen und gleichzeitig müssen sie dem laufenden Unterricht folgen – wird man insgesamt mehr Zeit für die Anpassung zur Verfügung stellen müssen.
Das hat es schon mal gegeben. In den 60er Jahren erfolgte in der alten Bundesrepublik die Umstellung des Schuljahrbeginns von Ostern auf den Herbst. Bis dahin hatte nur in Bayern das Schuljahr nach den Sommerferien begonnen. Statt den Stoff eines ganzen Schuljahres in ein halbes zu pressen, wurde der Stoff von zwei normalen Schuljahren auf zwei Kurzschuljahre aufgeteilt.
Auch jetzt sollte man sich für die Anpassung nach dem Corona-Jahr mehr Zeit lassen. Statt am 1. September so zu tun, als seien alle Schüler:innen auf demselben Lern-Stand, sollte man dieses Ziel weiter in die Zukunft verschieben.
Schon jetzt sollte ein Tutor:innenprogramm vorbereitet werden, damit für Kleingruppen Hausaufgaben- und Nachhilfe angeboten werden kann. Außerdem müßte das Lerntempo zu Beginn des nächsten Schuljahrs deutlich verlangsamt werden, damit der Aufholprozess für die schwächeren Schüler:innen nicht zu lange dauert.
Gestärkt gehen Schulen nur dann aus der Krise hervor, wenn man den unfreiwilligen Digitalisierungs-Schub nutzt, und auch das Bildungswesen vom Internet her neu denkt.
Damit ist nicht gemeint, Lehrer:innen durch Computer zu ersetzen. Aber Unterricht läßt sich ganz anders organisieren und individualisieren, wenn die digitalen Chancen dazu genutzt werden. Auch die Lerninhalte sollten einer grundlegenden Überprüfung unterzogen werden, damit auch für das digitale Zeitalter gilt, dass man nicht für die Schule, sondern für das Leben lernt.
Neue Curricula für alle Schulformen und -stufen, Lehrer:innenfortbildung, Tutor:innenprogramme, digitale Ausstattung der Schulen – all das kostet Geld. Wir brauchen dafür einen milliardenschweren Corona-Bildungsfonds, finanziert von Bund und Ländern. Er sollte jetzt und nicht erst im Herbst bereitgestellt werden.
Nachsatz: Nein, ich weiß nicht, ob die Kultusminister:innen das alles nicht schon längst überlegen. Wenn ja, dann sollten sie es schleunigst bekannt machen. Denn eines weiß ich sehr wohl: Eltern und Schüler:innen wissen bisher nicht, wie es im September weitergehen soll.
Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP