21. März 2021
Kolumne von Lamya Kaddor
Heute bin ich besonders gefrustet. Enttäuscht. Traurig.
Ich realisiere wieder mal, wie sehr uns schlimmstes Leid von Menschen gleichgültig ist. Vor genau zehn Jahren begann – für mich damals unvorstellbar – der tragische Niedergang des Heimatlands meiner Eltern: Syrien. Es versank in Krieg und Terror. Heute verhungern ganze Familien dort. Und niemand interessiert sich mehr dafür. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Die griechische Küstenwache wirft offenbar Geflüchtete gefesselt ins Mittelmeer. Ob dieser Push-Back-Vorwurf, erhoben vom türkischen Innenminister Süleyman Soylu, wahr ist oder nicht, ist nachrangig. Es würde sowieso niemanden interessieren. Es wäre nicht der erste Push-Back-Vorwurf, „nur“ ein besonders brutaler. Man muss sich das vorstellen: Diese Menschen fliehen vor mittelalterlichen Regimes zur angeblich so modernen, aufgeklärten EU und erfahren hier eine ebenso archaische Behandlung.
Der Jemen geht regelrecht vor die Hunde. So sehr, dass die Menschen sich dort vermutlich freuen würden, wenn sie wenigstens „syrische Verhältnisse“ hätten. Die UNO spricht von der derzeit schlimmsten humanitären Katastrophe der Welt. Und wen interessiert’s?
China unterdrückt Uiguren und Tibeter. In Myanmar foltern Militärs einen zweijährigen Jungen, weil sie den Vater – einen Demokratie-Aktivisten – nicht finden können. Na und? Belarus. War da was? Ukraine? Sagt mir nix.
Natürlich kann Deutschland nicht die Welt retten. Wir kriegen schon die Coronakrise nicht in den Griff, und über allem schwebt der Klimawandel. Trotzdem dürfen uns die fürchterlichen Schmerzen nicht einfach egal sein, die Menschen befallen, deren Familien gefoltert werden! Oder deren Eltern vor ihren Augen verhungern! Menschlichkeit ist doch die Essenz des Lebens.
Außenpolitik braucht mehr Gewicht. Wir haben genug Politiker:innen in Deutschland und Europa. Viel mehr von ihnen müssen sich noch intensiver um die Vorgänge im Rest der Welt kümmern. Nabelschauen bringen uns im Zeitalter der Globalisierung nicht weiter. Die Folgen des Leids in der Welt werden sonst bald wieder leibhaftig vor unserer Haustür stehen.
Die Gesellschaft muss jetzt Druck machen. Jede:r einzelne von uns kann etwas bewegen. Das Netz gibt allen die Möglichkeit zum Handeln: Elend anprangern, Forderungen stellen, Parteien im Nacken sitzen und am Ende Wahlentscheidungen viel stärker von außenpolitischen Themen abhängig machen.
Unsere Sicherheit wird vielleicht am Hindukusch verteidigt, unsere Zukunft wird es ganz gewiss.
Foto: FH Münster