25. Januar 2023
von Kathi Happel
Schulverbot nach der sechsten Klasse, Verpflichtung zur Vollverschleierung und der Verweis von Universitäten ‒ das sind nur ein paar Beispiele, wie die Taliban seit ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 die Rechte von Frauen sukzessiv immer weiter einschränkten. Mittlerweile wurden Afghaninnen fast vollständig aus dem öffentlichen Leben verbannt (1). Am 24. Dezember letzten Jahres kam mit dem Arbeitsverbot für Mitarbeiterinnen von nationalen und internationalen NGOs eine weitere schwerwiegende Einschränkung hinzu. Grund sei, dass Frauen die Kleidervorschrift, die sie dazu verpflichtet einen Hidschab zu tragen, während ihrer Tätigkeit für die Organisationen angeblich nicht einhielten (2).
Als Reaktion auf das Beschäftigungsverbot stellten einige Hilfsorganisationen ihre Arbeit vorerst ein oder mussten diese reduzieren. Laut der „Agency Coordinating Body for Afghan Relief & Development (ACBAR)“, dem Dachverband von derzeit 183 nationalen und internationaler NGOs in Afghanistan, spielen Frauen eine unverzichtbare Rolle bei der humanitären Hilfe im Land. Ohne ihre weibliche Belegschaft könne die Hilfsarbeit der Organisationen nicht mehr geleistet werden, da die Mitarbeiterinnen unter anderem für die Unterstützung von Frauen und Mädchen unersetzbar seien (3).
Ob das Verbot auch weibliche Angestellte der Vereinten Nationen (UN) betrifft, war zunächst unklar. In einem späteren Protokoll, welches aus einem Treffen des afghanischen Wirtschaftsministers mit dem Chef der UN Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hervorging, hieß es allerdings, dass Mitarbeiterinnen der Vereinten Nationen und ausländische NGO-Angestellte von dem Verbot ausgenommen seien, ebenso wie Afghaninnen aus dem Gesundheitsbereich (4). Die Vereinten Nationen setzten ihre Tätigkeit in Afghanistan bereits Ende letzten Jahres fort und kündigten an, weiter das Gespräch mit den Taliban zu suchen, um diese davon zu überzeugen das Arbeitsverbot zurückzunehmen (5).
Insgesamt sorgte das Arbeitsverbot für Afghaninnen in Hilfsorganisationen international für große Empörung. Die Vereinten Nationen forderten die Taliban auf, das Verbot wieder aufzuheben und auch Außenminister:innen mehrerer Länder sowie die EU appellierten an die Machthaber, ihren Kurs zu ändern (6). Außenministerin Baerbock twitterte am 25. Dezember, dass Deutschland nicht akzeptieren werde, dass „die Taliban die humanitäre Hilfe zum Spielball ihrer Frauenverachtung machen“ und Entwicklungsministerin Schulze sprach sich dafür aus, die Unterstützung durch Deutschland auszusetzen (4).
Die internationalen Forderungen und der Rückzug der NGOs stießen bei den Taliban bisher allerdings weitestgehend auf Granit. Eine Korrektur ihres frauenfeindlichen Kurses lehnen die Machthaber ab (7) und auch ACBAR verkündete bisher keine positiven Neuentwicklungen, welche die Arbeit der NGOs in Afghanistan betreffen.
Dass Hilfsorganisationen ihren Einsatz pausieren oder zumindest einschränken müssen, wenn der weibliche Teil der Belegschaft gezwungenermaßen wegfällt, ist nachvollziehbar. Und auch, dass Staaten als Konsequenz ihre Unterstützungsleistung gegenüber Afghanistan überdenken wollen, mag plausibel klingen. Schließlich hofft man durch Druck und Dialog die Taliban zu einem Umdenken zu bewegen. Doch bisher ist das nicht geschehen und am Ende sind die Leidtragenden wohl eher nicht die extremislamischen Machthaber, sondern die afghanischen Zivilist:innen. Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise und laut Angaben der UN ist über die Hälfte der afghanischen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen (5).
Auf dieser Abhängigkeit basiert auch die Hoffnung, die Taliban doch noch zu einem Kurswechsel drängen zu können ‒ oder zumindest das Beschäftigungsverbot von Frauen in NGOs zurückzunehmen. Denn die Suspendierung weiblicher NGO-Mitarbeiterinnen gefährdet letztendlich das Leben aller Afghan:innen (6).
Doch eine Frage bleibt: wenn sich die Taliban grundsätzlich um Menschenleben sorgen würde, wäre es dann überhaupt jemals so weit gekommen?
Quellen:
1.) Christian Böhme, Tagesspiegel, 26.12.22, „Arbeitsverbot für Frauen in Afghanistan: Hilfsorganisationen protestieren – und stellen ihre Tätigkeit ein“
www.tagesspiegel.de/internationales/arbeitsverbot-fur-frauen-in-afghanistan-hilfsorganisationen-protestieren–und-stellen-ihre-tatigkeit-ein-9090370.html
2.) Spiegel, 24.12.22, Taliban untersagen NGO-Mitarbeiterinnen die Arbeit“,
www.spiegel.de/ausland/afghanistan-taliban-untersagen-ngo-mitarbeiterinnen-die-arbeit-a-368a8fdc-6ecc-41fc-bc35-29cb5ac985b3
3.) ACBAR, 26.12.22, „Statement by ACBAR on Suspension of Women Staff working in NGOs“
www.acbar.org/articles/375/statement-by-acbar-on-suspension-of-women-staff-working-in-ngos-26-december-2022
4.) Tagesspiegel, 27.12.22, „Update| Nach heftiger Kritik: Ausnahmen bei Taliban-Arbeitsverbot für Frauen in NGOs“
www.tagesspiegel.de/politik/nach-arbeitsverbot-fur-frauen-bei-ngos-entwicklungsministerin-schulze-will-hilfe-fur-afghanistan-aussetzen-9090823.html
5.) Spiegel, 30.12.22, „Uno plant, Hilfsarbeit in Afghanistan trotz Frauenarbeitsverbot fortzuführen“,
https://www.spiegel.de/ausland/afghanistan-uno-will-hilfsarbeit-trotz-frauen-arbeitsverbot-fortfuehren-a-7b6d2b33-f916-462d-8da9-380dbfd4206a
6.) Spiegel, 29.12.22, „Zwölf Außenminister fordern Aufhebung des Arbeitsverbots für Frauen bei NGOs“,
https://www.spiegel.de/ausland/afghanistan-zwoelf-aussenminister-fordern-aufhebung-des-arbeitsverbots-fuer-frauen-bei-ngos-a-78c8b5f9-2465-4f12-863f-483ca9c9c6a8
7.) Süddeutsche Zeitung, 15.01.23, „Taliban lehnen Kurskorrektur ab“,
www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-taliban-lehnen-kurskorrektur-ab-1.5732728
Foto: Philip Mahlzahn