19. September 2021
Kolumne von Lamya Kaddor
Vorausschauendes Handeln ist der deutschen Politik bis heute nicht gegeben. Es wird gehandelt, wenn es schon zu spät ist. Die Politik läuft hinterher. Stets. Erst müssen Medien und Öffentlichkeit so viel Druck ausüben, dass Politiker:innen nicht mehr anders können, als sich als große Macher:innen und Problemlöser:innen zu präsentieren.
Das war beim Terror so. Bevor gehandelt wurde, musste es Anschläge und Tote geben. Das war beim Klimawandel so. Erst mussten die Folgen spürbar sein, heute wollen angeblich alle Klimapolitik machen – abgesehen von der AfD natürlich. Es war bei der Ankunft der syrischen Geflüchteten 2015 so. Obwohl der Bürgerkrieg in Syrien da schon Jahre lang lief, mussten erst Hunderttausende über die deutsche Grenze kommen bis unsere Politik in Hektik und Aktivismus rund um die Angela Merkels Beschwörungsformel „Wir schaffen das“ verfiel.
Glauben Sie bloß nicht, dass Politik daraus gelernt hätte. Sie macht die gleichen Fehler immer wieder. Migration ist aus Sicht der Wähler:innen nach wie vor eines der zentralen Themen für die Bundestagswahl. Doch im Wahlkampf findet es kaum statt.
Forderungen nach einem Einwanderungs- und Integrationsministerium, wie sie die Grünen und wie ich sie schon lange erheben, werden nicht diskutiert. Vermutlich muss erst wieder viel menschliches Elend vor unseren Augen geschehen, bis hier etwas passiert.
Aber keine Sorge. Es bahnt sich ja schon an. Die ersten Afghan:innen vegetieren bereits im Niemandsland zwischen Polen und Belarus vor sich hin. An der Grenze zwischen Belarus und Litauen ähnliche Bilder. Im Süden versuchen sie es über die türkische Grenze. Das Einmischen des Westens in Afghanistan sowie in andere Staaten und sein anschließendes Vollversagen, lässt vielen Menschen offenbar keine andere Wahl außer Flucht.
Nun stehen die Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Schon wieder. Oder besser gesagt: Immer noch. Der Winter naht. Unser Zögern beim Klimaschutz wird dafür sorgen, dass bald mehr Menschen kommen werden. Wo sind also die Konzepte, um sich dafür vorzubereiten? Sie existieren nicht.
Wenn wir nicht endlich anfangen, zu handeln, werden wir noch einige „2015s“ in den kommenden Jahren erleben. Es ist nicht mehr viel Zeit bis zur Bundestagswahl. Bis dahin aber vor allen Dingen danach gehört das Thema Flucht und Migration oben auf die Agenda.
Foto: FH Münster