02. August 2023
Kolumne von Özge Inan
Die Ausländer machen uns die Freibäder kaputt. In Berlin ist eine Löwin entlaufen. Hollywood erfindet Barbie als Feministin neu. Willkommen im Sommerloch! Seicht müssen sie sein, die Themen, die man im Juli und August diskutiert, gleichzeitig bestehende Ressentiments bedienen und gesellschaftliche Fragen aufgreifen, bei denen jeder sich zu einer Meinnung berufen fühlt. Etwa: Ist Kino zu woke geworden? Sieht ein Wildschwein von weitem aus wie ein Löwe? Hat Gewalt unter Jugendlichen nicht doch irgendwie mit der Herkunft zu tun? Alles bestens, ich mische mich da gar nicht ein. Aber ich habe das Rezept erkannt und präsentiere hier drei weitere Vorschläge, mit denen das Sommerloch gestopft werden kann. Ersatz auf Vorrat ist schließlich nie verkehrt.
Erstens: Der unverhohlene Rassismus gegen Weiße im Supermarktregal. Warum ist Matcha teurer als Kaffee, Hummus teurer als Leberwurst und Couscous teurer als Kartoffelsalat? Wird hier nicht impliziert, Lebensmittel nicht-eruopäischen Ursprungs seien wertvoller als jene aus unseren Breitengraden, exotisch sei besser als heimisch? Im Zeitalter der globalen Billiglieferketten ist Entfernug kein Argument mehr. Das Schweigen der Bundesregierung über diese Herabsetzung europäischer Esskultur spricht Bände. „Currywurst und Döner“ lautet der Titel eines 1999 erschienenen Buches von Cem Özdemir, heute Bundesminister für Landwirtschaft und – Achtung! – Ernährung. Zufall? Wohl kaum!
Zweitens: Männer mit Nagellack. Soll man es machen? Soll man es lassen? Soll man sich zunächst vergewissern, dass bestimmte ästhetische Grundprinzipien verinnerlicht wurden, etwa, dass schief und krumm geschnittene, ungefeilte Nägel durch leuchtende Farbe nicht gerade verschönert werden? Nach Geschmack kann die Debatte mit Männlichkeitsgedöns gewürzt werden, Männer sind schließlich auch nur Menschen und reden demnach am liebsten über sich selbst. Alle anderen mögen sich auf optische Aspekte konzentrieren, Sommerzeit ist schließlich Fashionzeit. Bühne frei!
Drittens: Aging-Effekte auf TikTok. Zugegeben läuft die Debatte bereits, sie hat im deutschsprachigen Raum nur noch nicht die Massen erreicht. Auf der Kurzvideplattform sind bekanntlich vor allem Jugendliche unterwegs und legen allerlei Filter über ihre Gesichter. Technisch werden die immer besser. Pädagogisch nicht so sehr. Aktuell macht ein besonders ausgefeilter Effekt die Runde, der dem Nutzer zeigen soll, wie er als alter Mensch aussehen könnte. Als „humbling experience“ bezeichnen TikToker die Nutzung des Filters, also eine Erfahrung, die einen auf den Boden der Tatsachen holt: Jugend ist vergänglich, Schönheit nur eine Momentaufnahme. Ein modernes Memento Mori, wenn man so will. Für eine Sommerloch-Debatte fast schon wieder zu tiefgründig. Man kann es aber nach Belieben intellektuell abspecken, indem man auf der kulturpessimistischen Ebene verbleibt. Die Technik verdirbt unsere Kinder! Dass man nicht ewig siebzehn sein kann, ist schließlich eine Tatsache, die einen Siebzehnjährigen nicht zu interessieren hat. Lasst die Jugend Jugend sein. Außer im Freibad. Wobei wir wieder beim Anfang wären.
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Foto: Timo Schlüter