20. Juni 2021
Kolumne von Lamya Kaddor
Liebe dänische „Sozialdemokraten“, benennt euch doch bitte um! Ihr seid diesem großen Begriff nicht würdig. Ihr seid auch den großen Werten der Aufklärung von Freiheit und Gleichheit nicht würdig.
Ihr seid das, was in Deutschland die AfD ist, in Österreich die FPÖ oder in Frankreich der Rassemblement National. Nur nennt ihr euch anders. Das ist Etikettenschwindel. Während alle Welt auf Polen oder Ungarn schaut, Rechtspopulismus und Rassismus dort anprangern, taucht ihr als „Sozialdemokraten“ unterm Radar hindurch. Denn Sozialdemokraten sind ja bekanntlich nicht so, nicht wahr? Sozialdemokraten gehören schließlich zu den Gegnerinnen und Gegnern von rechtskonservativem Nationalismus, von Ausgrenzung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Aber ihr redet von Ghettos und Zwangsumsiedlungen, von Grenzen dicht machen und permanente Asylverschärfungen, und ihr handelt danach: Stichwort: Ghettosplan. Jetzt wollt ihr gut integrierte Senioren, Frauen und Kinder ins Bürgerkriegsland Syrien zurückverfrachten. Ihr wollt verfolgte Menschen, die um Asyl bitten, in Lager nach Afrika schicken und sie nicht mal dann einreisen lassen, wenn sie berechtigte Asylgründe haben.
Diese Entwicklung unter eurer Regierungschefin Mette Frederiksen ist alles andere als neu. Schon vor 20 Jahren schlug eure damalige Innenministerin Karen Jespersen vor, „kriminelle“ Geflüchtete auf eine Insel zu deportieren; wenig verwunderlich, dass sie später zur rechtsliberalen „Venstre“ gewechselt ist. Euer damaliger Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen wollte Musliminnen und Muslimen das Beten während Arbeitspausen verbieten, weil das mit der „dänischen Arbeitsmoral“ nicht vereinbar sei.
Was ist das anderes als Rechtspopulismus? Eure Politik ist menschenverachtend, aber ihr kaschiert sie mit Wohltaten fürs Volk. „Ohne sozialen Zusammenhalt gibt es keinen Wohlfahrtsstaat“, sagt euer Innenminister Mattias Tesfaye. Richtig, aber ihr bezieht das in Gedanken nur auf die Menschen, die ihr nach völkischen Kriterien zum dänischen Staat zählen wollt – plus ein paar „Gäste“, die man nicht mehr los wird. Letztlich setzt ihr das um, wovon die Rechtsaußen in der CDU Sachsen-Anhalt noch träumen: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.“
Ihr wollt das eigene Glück auf Kosten anderer bewahren. Ihr wollt euer Land abschotten, aber durch das Ausland wohlhabend bleiben, etwa ein Drittel des dänischen BIP wird durch Außenhandel generiert. Mich erinnert das an die alte Sklavenhaltermentalitäten, an Kolonialismus und Imperialismus. Dabei stand das Ziel der internationalen Solidarität schon historisch am Anfang der Sozialdemokratie. Es gehört somit zu ihrer DNA.
Aber euch allein verantwortlich zu machen, würde zu kurz greifen. In Demokratien trägt die Bevölkerung die Verantwortung für diejenigen, die sie repräsentieren und regieren. Die herzlose Kälte eurer Regierung bezieht ihr Frostmittel von denen, die euch wählen. Aus Dänemark kommen europaweit bekannte Persönlichkeiten mit vielfach umstrittenen Äußerungen über Muslime und Migranten. Sie reichen vom buddhistischen Lama Ole Nydahl bis hin zu Rasmus Paludan, der immer wieder Koran-Ausgaben öffentlich verbrennen will. Aber anstatt sich unmissverständlich in Opposition dazu zu stellen, wollt ihr lieber die Stimmen derer, die sich von solchen Leuten angesprochen fühlen.
Ihr mögt damit politisch erfolgreich sein. Eure Abschreckungspolitik mag wirken – nach Dänemark will kaum noch jemand. Aber als echter Sozialdemokrat und echte Sozialdemokratin könnte man so nicht mehr ruhig schlafen.
Enttäuschend ist die Gleichgültigkeit der anderen Sozialdemokraten in Europa inklusive der deutschen. Sie lassen die dänischen Genossinnen und Genossen einfach machen, statt sie zur großen antifaschistischen Traditionen zu mahnen. Einige wollen sogar das dänische Modell in ihrem verkrampften Bemühen, zurück in die Erfolgsspur zu finden, noch kopieren.
Also, liebe Mitglieder der „Socialdemokrateren“, noch mal: Vertretet ruhig Eure Ansichten. Das gehört zum Wettstreit der politischen Ideen. Die Demokratie gibt Euch die nötigen Freiheiten dazu. Aber befleckt doch nicht weiter die sozialdemokratische Geschichte. Seid nicht unehrlich und nicht feige und benennt euch um! Oder macht es wie Karen Jespersen und tretet aus! Die Möglichkeit, dass eure Partei nach all den Jahren zum wahren Geist der Sozialdemokratie zurückfinden könnte, halte ich derzeit für ausgeschlossen.
Foto: FH Münster