25. Januar 2022
Kolumne von Özge
Das Jahr 2019 war für die europäische Grenzschutzagentur Frontex ein Jahr der Gegensätze. Einerseits wurden erstmals Vorwürfe laut, die Agentur beteilige sich an sogenannten „Pushbacks“, dem gewaltsamen und illegalen Zurückdrängen flüchtender Menschen. Bis zum zweifelsfreien Beweis sollte es noch ein weiteres Jahr dauern, PR-technisch wurde es aber zu diesem Zeitpunkt bereits ungemütlich.
Aber zur halbvollen Seite des Glases. 2019 war auch das Jahr, in dem die EU beschloss, Frontex den Aufbau einer ständigen Reserve von bis zu zehntausend Beamten zu erlauben. Es wurde höchste Zeit, denn was ist schon die Befugnis zur Beschaffung eigener Ausrüstung wert, wenn man das brandneue Kriegsgerät nicht in die vertrauensvollen Hände von Massen begeisterter Rekruten legen kann?
Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt, und Frontex-Chef Fabrice Leggeri teilt sein Glück über sein brandneues, 140 Millionen Euro teures Hauptquartier , ein satellitengestütztes Luftüberwachungssystem, Gummi- und Teleskopschlagstöcke, 2.500 halbautomatische 9x19mm-Pistolen aus dem Hause Glock sowie insgesamt 3,6 Millionen Schuss Munition also bald mit zehntausend weiteren glühenden Europäern.
Und was kann man machen, auf welche spannenden Positionen kann man sich bewerben bei Frontex? Ein Blick in die Liste aktueller Stellenangebote zeigt, dass die Aufgaben keineswegs alle so rustikal sind, wie die zahllosen Berichte über gewalttätige Grenzschützer vermuten lassen.
Beispielweise sucht die Agentur arabisch-, pashto- und darisprachiges Personal mit „tiefgreifenden Kenntnissen zum kulturellen und historischen Kontext der Region“, wobei weder die Kultur noch die Region näher bezeichnet sind, um die es gehen soll, was wiederum auf Arbeitgeberseite auf nicht ganz so tiefgreifende Kenntnisse bezüglich der gewaltigen Größe der in Frage kommenden Region und der zehntausenden darin verwurzelten Kulturen schließen lässt, aber sei’s drum.
Für solchen Firlefanz ist sowieso der „kulturelle Mediator“ zuständig, dessen ausdrückliche Aufgabe unter anderem darin besteht, die Angaben „irregulärer“ Migranten, also solcher, die nicht über die nicht existenten regulären Fluchtwege nach Europa kommen, „anzufechten“. Eine Mediation, vom lateinischen mediatio, Vermittlung, hat zwar streng genommen gar keine Zielrichtung, aber bei Frontex denkt man out of the box.
Ergebnisoffener fällt dagegen die Arbeit der „Afrika-Grenzsicherheitsexperten“ aus, die in Drittstaaten geschickt werden sollen, um dort „notwendige Aktivitäten“ durchzuführen. Als Beispiele werden „Besichtigungen, Interviews, Recherche etc.“ genannt, was mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet.
Apropos mysteriöse Jobinhalte, eine Projektmanagement-Vakanz gehört natürlich zu jeder vernünftigen Agentur. Und so finden sich auch ganz schnöde Stellenangebote wie Graphikdesigner, Steuerrechtler, Logistiker, Personaler und – zum Totlachen – Experten für Sicherheit am Arbeitsplatz.
Natürlich weiß auch eine Grenzschutztruppe: mental health matters. Weil professionelle Menschenrechtsverletzungen auf Dauer an die Psyche gehen, werden Organisations- und Arbeitspsychologen gesucht, idealerweise erfahren im Umgang mit „schwierigen Situationen“ im „multikulturellen Arbeitsumfeld“.
Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Der Bewerbung beizufügen ist diese eidesstattliche Versicherung, unter anderem darüber, nicht wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt zu sein. Frontex mag keine Konkurrenz.
Foto: Timo Schlüter