28 Juli 2020
Kolumne von Özge
Es weckt unappetitliche Assoziationen, wenn Deutsche in Uniform über Abstammungslinien sinnieren. Und so flog der Stuttgarter Polizei ihre Ankündigung, den Migrationshintergrund einiger Tatverdächtiger mithilfe von „Recherchen bei den Standesämtern“ klären zu wollen, erwartungsgemäß und völlig zu Recht um die Ohren.
Es zeigte sich aber auch ein unheilvoller Reflex vieler Aktivistinnen mit Migrationshintergrund, der zu solchen Anlässen immer wieder zu beobachten ist: das Bedürfnis, auf das eigene Deutschsein zu pochen. Dass die Polizei bei Menschen mit deutschem Pass überhaupt nachhake, sei blanker Rassismus, so der Vorwurf, denn offenbar werden sie immer noch nicht zu den Deutschen gezählt. Zum Mitschreiben: nicht, dass man überhaupt ohne erkennbaren ermittlungstaktischen Mehrwert die Herkunft der Tatverdächtigen erforscht, wird kritisiert, sondern dass man das bei deutschen Staatsbürgern tut. Das ist eine verzerrte Sicht auf die Dinge.
Woher kommt dieser Reflex und welches Denkmuster steckt dahinter? Im Kern haben wir es mit den enttäuschten Erwartungen einer sich selbst als Leistungsträger wahrnehmenden Gruppe zu tun. Ich bin Inländer – Titel der Autobiographie Cem Özdemirs – ist das Motto. Ich kann jede Eintrittskarte vorweisen, bin Staatsbürgerin dieses Landes, habe Abitur, habe studiert und darf trotzdem nicht auf eure Party. Wenn man dem Aufstiegsversprechen, das mit dem neoliberalen Integrationsbegriff verknüpft ist, tatsächlich irgendwann mal Glauben geschenkt hat, ist diese Enttäuschung sicherlich berechtigt. Wer Staatsbürgerschaft, Abitur und Studium als Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe akzeptiert, wird es natürlich als Affront empfinden, wenn sie ihm dann trotzdem verwehrt wird. Der eigentliche Affront ist aber, dass die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe überhaupt an diese Bedingungen geknüpft ist. Ob wir uns in diese Logik einfügen oder nicht, ist unsere Entscheidung.
Es mag manchen ein wohlig warmes Gefühl geben, sich in Einigkeit und Recht und Freiheit die Hände zu reichen, aber die Realität ist, dass Deutschsein ein knallhartes Ausgrenzungskriterium ist. Wer sich selbst Deutschsein zuschreibt, schiebt – ob er will oder nicht – den schwarzen Peter des Nichtdeutschseins weiter. Wer also sind die „wahren“ Nichtdeutschen? Natürlich die, die keine der vermeintlichen Eintrittskarten zur Party besitzen. Während Ausländerinnen von der Polizei drangsaliert werden, mit Abschiebung rechnen müssen und den mannigfaltigen Schikanen des Aufenthaltsrechts ausgesetzt sind, kümmern sich Deutschlands Integrationsaktivistinnen darum, dass sie selbst zu den Deutschen gezählt werden. Man wünscht ihnen viel Erfolg, aber wem außer ihnen das eigentlich helfen soll, bleibt ein Rätsel.
Foto: Özge