18. Juli 2021
Kolumne von Lamya Kaddor
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie jedes Jahr im Sommer früh morgens Tonnen von reifen Tomaten auf dem Feld gepflückt, dann kleingeschnitten, durch Siebe gepresst und in Schälchen auf den Dächern der Häuser zum Trocknen an der Sonne ausgelegt wurden. Sauer war dieses Tomatenmark, aber sehr lecker.
Diesen Sommer wäre ich sicherlich gerne wieder nach Syrien gereist, wie früher eigentlich jeden Sommer. Dörfliches Leben in Syrien ist etwas Besonderes. Beinahe alles wird selbst geerntet, hergestellt, gekocht. Völlig anders als in der Stadt. Nicht weil sich die Menschen Fertigprodukte allesamt nicht leisten könnten, sondern weil sie die Produkte mit der Hand machen wollen. In Gemeinschaft. Mit der Familie. Nachbarn. Freunde. Bei Tee, Kaffee und Musik.
Mein Vater liebte das Dorf und seine Oliven, Feigen, Trauben. Seine Walnüsse, Aprikosen und die syrischen Süßigkeiten. Zum Schluss hatte er sogar Hühner, die er liebte. Meine Familie liebt die Geselligkeit.
Ich habe lange gedacht, dass mir Syrien nicht allzu wichtig wäre. Schließlich lebe ich in Deutschland, bin hier geboren und verwurzelt. Aber seit ich wegen des Kriegs nicht mehr dorthin kann, wird die Sehnsucht von Jahr zu Jahr stärker. Es sind die Menschen und die Natur, die mir sehr sehr fehlen, der Blick in den nächtlichen Himmel, der die Milchstraße und Gestirne zeigt, der Ostwind, der die Abkühlung bringt, und, ja, auch das Herstellen von Tomatenmark am frühen Morgen zu den Klängen von Fairouz.
Der Krieg hat meinen Wunsch in unendliche Ferne gerückt und ich warte auf den Tag, an dem ich endlich wieder hin kann. Doch er wird nicht kommen. Denn alles und jeden, das beziehungsweise den ich dort liebte, existiert so nicht mehr; sie sind fast alle tot oder geflohen.
Foto: FH Münster