24. November 2021
Tagsüber ist es warm im Osten Afghanistans. Aber sobald es dunkel wird, schützt nicht mal eine Winterjacke vor der Kälte. Zwei Nächte hat Mustafa mit vier Kollegen an der Ostgrenze zu Pakistan ausgeharrt. Im Staub, eingeengt inmitten von tausenden Menschen. Im Niemandsland, zwischen Taliban-Kämpfern auf der einen Seite – und pakistanischen Streitkräften auf der anderen. „Wir mussten wach bleiben“, sagt Mustafa. „Falls man uns zur Grenze durchlassen würde.“
Die Schritte in Richtung Freiheit waren winzig, aber irgendwann passierten sie den letzten Checkpoint. „Wir waren müde und ausgelaugt“, erinnert sich Mustafa. „Und glücklich.“ Eigentlich hatten sie sich vorgenommen, ein Selfie zu schießen, sobald sie Afghanistan hinter sich gelassen haben. „Aber wir haben es vergessen. Wir haben uns einfach zu sehr gefreut.“
Drei Wochen ist das jetzt her. Mustafa konnte den Taliban entkommen. Fünf Jahre lang arbeitete er im „Bawar Media Center“ in Masar-i-Scharif – eine Nachrichtenredaktion, die von der NATO und der Bundeswehr eingerichtet wurde. „Bawar“ bedeutet Vertrauen. Mustafa hat dabei geholfen, das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die Medien nach der letzten Taliban-Herrschaft vor 20 Jahren zurückzugewinnen. Hat Nachrichtenbeiträge für Radiosendungen und soziale Netzwerke erstellt. „Als die Taliban im August nach Masar-i-Scharif kamen, war uns allen klar, dass wir in Gefahr sind“, sagt Mustafa. „Wir mussten fliehen.“
Mustafa und seine Kollegen standen als Ortskräfte auf der Evakuierungsliste des Auswärtigen Amts. Doch bei der Rettungsaktion der Bundeswehr Ende August holte sie niemand ab. „Also versuchten wir es auf eigene Faust“, sagt er. An Flugtickets kamen sie nicht. „Der Landweg war unsere einzige Möglichkeit.“
Sie schafften es über die Grenze, über den Chaiber-Pass, bis nach Islamabad. „Ich fühlte mich frei“, erinnert sich Mustafa. Doch mittlerweile fühlt es sich an, als sei er in eine Sackgasse geflohen. „Mein Pakistan-Visum läuft in wenigen Tagen ab. Und ich habe noch immer keine Neuigkeiten aus der Deutschen Botschaft.“ Mustafa kann sein Visum um einen Monat verlängern – aber nach spätestens 60 Tagen muss er Pakistan verlassen. „Wenn ich nicht bald eine Aufnahmezusage aus Deutschland bekomme, werde ich abgeschoben.“ Einige seiner Arbeitskollegen haben bereits nach wenigen Tagen in Pakistan Visa und Flugtickets von der Deutschen Botschaft erhalten. „Ich nicht. Und niemand erklärt mir, warum.“
Die Uhr tickt. „Meine größte Angst ist, dass ich wieder nach Afghanistan muss“, sagt Mustafa. „Auch wenn ich meine Familie dort sehr vermisse. Ich kann auf keinen Fall zurück.“ Ihm bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Wie damals an der afghanischen Grenze. Es fühlt sich noch immer an wie im Niemandsland.
Fotos: Achim Schmidt
Text: Kathrin Braun