23. März 2021
Kolumne von Özge
Wie so ziemlich alles andere ist auch linke Oppositionsarbeit in Deutschland eine Sache, die höchst ernsthaft betrieben wird. Das ist im Moment schön zu beobachten an den sogenannten Ehrenerklärungen der CDU-Abgeordneten zu deren jüngstem Korruptionsskandal. Während der Thüringer Mark Hauptmann, dessen Ehre offensichtlich für 7000 Euro zu kaufen ist, nach einer ebensolchen Erklärung als Profiteur eines lukrativen Maskendeals aufflog, gehen Reaktionen der deutschen Linken nicht über Entrüstung und müde Rufe nach Aufklärung hinaus. Lange Gesichter überall. Hallo, lacht doch mal!
Dies ist kein Aufruf zum Zynismus, nach dem Motto, wenn wir den Untergang schon nicht aufhalten können, haben wir wenigstens Spaß daran. Im Gegenteil brauchen wir einen kompromisslos optimistischen und gerade deshalb humorvollen Umgang mit den Ekelhaftigkeiten der Mächtigen. Die linke Opposition in der Türkei hat das geradezu perfektioniert. Als sich der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş 2018 aus dem Gefängnis heraus zur türkischen Präsidentschaftswahl aufstellte, scherzte er, die anderen Kandidaten würden im Wahlkampf ungerecht behandelt, da sie von Veranstaltung zu Veranstaltung hetzten, während er in seiner Zelle gemütlich Tee trinke. Während der Istanbuler Gezi-Proteste 2013, die mit massiver Polizeigewalt niedergeschlagen wurden, zeigten syrische Geflüchtete ein Plakat mit der Aufschrift “Thanks for making us feel like home, Tayyip”. Und eine der beliebtesten Geschichten aus der Zeit des Militärregimes der achtziger Jahre ist die von der Durchsuchung bei Kommunisten, in deren Wohnung ein Marx-Porträt hängt. Der Polizist fragt, wer das sei, worauf der Kommunist antwortet, es sei sein Großvater; der Polizist beschimpft ihn daraufhin, ob er sich denn nicht schäme, als Enkel eines derart gutmütig und anständig aussehenden Mannes Kommunist zu werden. Die Geschichte, die keinen klaren Ursprung hat und in linken Kreisen stets unter großem Gelächter erzählt wird, hätte hierzulande wahrscheinlich ernste Blicke und entsetzte Kommentare vom Typ “Armutszeugnis” zur Folge.
Nun sind wir natürlich nicht in einer annähernd so prekären Situation wie Linke in der Türkei. Wahrscheinlich spielt das auch eine Rolle in unserer Miesepetrigkeit, denn man muss schon auf dem Schafott stehen, um Galgenhumor zu entwickeln. Dann wäre da noch die deutsche Marotte, sich selbst unglaublich ernst zu nehmen, die uns lustigerweise ausgerechnet Satiriker eindrücklich vor Augen führen, wann immer sie für Fehltritte in der Kritik stehen.
Trotz dieser für guten Humor äußerst widrigen Umstände sollten wir uns fragen, wie wir es schaffen können, unser Bewusstsein für die Lächerlichkeit der Mächtigen zu schärfen und sie dieser Lächerlichkeit auch gebührend preiszugeben. Das wird zwar bedeuten, dass wir uns von einigen Glaubenssätzen über professionelle Kommunikation lösen müssen. Aber es wird den Herrschenden eine ihrer besten Waffen nehmen: unsere Resignation.
Foto: Özge