12. August 2022
Audio zum Interview
Im Gespräch mit Richard Brenner über seine Motivation, sich für die Seenotrettung einzusetzen.
Was treibt Menschen an, sich gesellschaftlich zu engagieren und für die zivile Seenotrettung einzusetzen? Richard Brenner ist seit Mai 2018 fester Bestandteil des Mission Lifeline Teams. Angefangen hat er als Techniker, mittlerweile ist er Co-Leiter für die Einsätze auf dem Meer − und er ist mit Herz und Seele dabei. In diesem Gespräch erzählt er, was ihn persönlich antreibt, wie es ihm gelingt trotz Schwierigkeiten seine Motivation zu behalten und warum er dranbleiben wird, solange es ihm möglich ist.
Richard, du bist jetzt schon eine ganze Weile bei Mission Lifeline tätig. Kannst du kurz erzählen, was deine Aufgabe ist?
Angefangen habe ich bei Mission Lifeline als Techniker für das Schiff. Ich komme ursprünglich aus dem Motoren schrauben und bin dadurch in die Werft gerutscht. Das hat mein großes Interesse geweckt mich weiter zu engagieren. Irgendwann habe ich die Werft geleitet und durfte in diesem Rahmen auch die RISE ABOVE mit aufbauen, die schon drei Missionen hinter sich und viele Seelen gerettet hat. Das macht mich persönlich sehr glücklich. Mittlerweile bin ich von der Technik in eine eher administrative Ebene gewechselt, in die sogenannte Search and Rescue (SAR) Koordination. Meine Kollegin und ich begleiten die Einsätze von Land aus und beraten die Crew auf dem Schiff über die nächsten Schritte, welche anderen Schiffe unterwegs sind oder wie gerade die politische Situation ist. Wir organisieren auch das Training und Briefing vor einer Mission. Das ist so grob gesagt mein Tätigkeitsbereich.
Das klingt sehr abwechslungsreich und spannend. Wie bist du denn dazu gekommen für Mission Lifeline zu arbeiten. Gab es einen Auslöser?
Die Seenotrettung hat mich schon länger interessiert, ich bin über eine Freundin darauf gekommen. Vorher war ich schonmal als Koch auf der IUVENTA, die ja schon lange beschlagnahmt ist. Sobald man das Feld „Schiff“ betritt, ist das wirklich spannend und auch die politische Einbindung ist für mich sehr interessant. Ich wohne auf Wagenplätzen und ursprünglich wollte ich, seitdem ich 20 bin, einen fahrenden Laster mit einer Arztpraxis in Afrika etablieren, um damit eine mobile Hausarztversorgung gewährleisten zu können. Mein politisches Interesse geht also schon lange in diese Richtung. Auf den Schiffen werden die Menschen auch medizinisch versorgt. Eigentlich bin ich also in dem Bereich, in dem ich
schon lange aktiv sein wollte, angekommen. Als 2018 die Anfrage von Mission Lifeline kam, ob ich vorrübergehend auf dem Schiff einspringen könne, brauchte ich gar nicht erst überlegen. Letztendlich ist es viel länger geworden – ich bin immer noch da.
„Weil diese Menschen in Seenot sind und sonst sterben würden − und das ist etwas, wo ich einfach nicht zugucken möchte.“
Es ist oft auch eine sehr anstrengende Arbeit, weil man gegen politische und gesellschaftliche Windmühlen arbeitet. Unser Verein sitzt in Dresden. Dort ist immer mal ein harscher Gegenwind zu spüren. Aber auch das ist Teil der Aufgabe. Auszudrücken, warum es so wichtig ist, dass den Menschen geholfen wird. Weil diese Menschen in Seenot sind und sonst sterben würden − und das ist etwas, wo ich einfach nicht zugucken möchte.
Du hast es schon kurz angesprochen, es ist nicht immer einfach. Was ist für dich persönlich die größte Hürde?
Bei einer Mission 2018, bei der wir 234 Leute an Bord hatten, hingen wir erst über eine Woche vor Malta fest, um überhaupt in den Hafen zu kommen. Allein das ist schon ein großer politischer Steinhaufen, der einem in den Weg gerollt wird. Einfach nur um den Menschen einen sicheren Hafen in Europa zu bieten. In der Folge dieser Einfahrt in den Hafen wurde das Schiff beschlagnahmt und war 560 Tage lang in einem Gerichtsprozess, der aus meiner Sicht eher ein Schauprozess war. Er endete mit einem Freispruch, aber das bedeutete trotzdem 560 Tage auf einem Schiff sitzen, was einen schon an der grundsätzlichen politischen Lage zweifeln lässt. Da hat man ein komplett ausgestattetes Schiff und die Notfallmeldungen kommen rein, aber man kann einfach nicht reagieren, weil man beschlagnahmt auf der Brücke sitzt. Man denkt sich „Liebes Europa, was ist hier los!?“. Wir alle leben nach Werten und dann werden diese Werte an der Außengrenze so sehr mit Füßen getreten. Das macht es in manchen Momenten schwierig und auch irgendwie traurig.
Wie gehst du persönlich mit solchen Rückschlägen um und wie behältst du trotzdem deine Motivation?
Ich kann viel mit meinem hoffnungslosen Optimismus kompensieren und es gibt ja nicht nur Rückschläge. Ich bin froh drüber, dass es in der Gesellschaft eine breite Masse gibt, die uns unterstützt. Es gibt Hunderte von Freiwilligen, die geholfen haben, das Schiff aufzubauen und die jedes Mal auch die Crew der Mission stellen. Außerdem viele Tausende, die uns finanziell unterstützen. Jede Spende ist wichtig, denn nur so können wir unsere Arbeit machen. Oder auch wenn Menschen im Hafen vorbeikommen und sagen „Toll was ihr macht!“. Das sind immer wieder Momente, die einen sehr dankbar machen. Die kleinen Aufbaupunkte. Nichtsdestotrotz gehört schon eine gehörige Portion Optimismus dazu.
…und wahrscheinlich auch eine gute Portion Beharrlichkeit. Gibt es einen schönsten Moment für dich bei deiner Arbeit?
Es ist ein wiederkehrender Moment. Wenn man nach einer anstrengenden Zeit auf dem Schiff – es ist eng, schwer nachts zu schlafen, weil die Maschine den ganzen Tag läuft und Leute werden seekrank – den sicheren Hafen zugewiesen bekommt und man darf das den Menschen sagen. Welche Freude man in diesem Moment entgegengespiegelt bekommt. Das ist einer der dankbarsten Momente jeder Mission, wenn man Gäste an Bord hatte.
Manchmal möchte man am liebsten den Kopf in den Sand stecken, wenn man sich das Weltgeschehen anschaut. Was würdest du den Menschen mit an die Hand geben, um einer potenziellen Demotivation entgegenzutreten?
Ich sehe die Demotivation in dem Sinne gar nicht so richtig. Ich sehe grundsätzlich sehr viel Zweifel am Status Quo. Leider ist das Positive oft nur viel zu leise. Aber ich sehe, dass es ist in der Mehrheit der Bevölkerung vorhanden ist. Und wir haben zum Glück in Deutschland immer noch den Luxus, dass es gesellschaftliches Engagement in einer Breite und Menge gibt, die mich positiv stimmt. Wie können es uns immer noch leisten − auch jetzt in schweren Zeiten − soziale Arbeit zu leisten. Es geht und ging bis jetzt immer weiter und das auch nicht immer schlechter, sondern es wird auch besser. Weil viele Menschen die Notwendigkeit erkennen.
Gibt es etwas, was du dir für die Zukunft wünschst? Es darf gerne utopisch sein.
Der Traum meiner schlaflosen Nächte wäre, wenn die zivile Seenotrettung nicht mehr nötig wäre, weil entweder die Fluchtursachen als solche beendet sind oder staatliche Stellen die Seenotrettung übernehmen, was ja eigentlich ihre Aufgabe ist. Wenn wir nicht mehr notwendig wären − das wäre der größte Traum.
Bis dahin ist es wohl noch ein langer Weg. Wirst du weiter machen, solange es nötig ist?
Ich mache so lange weiter, solange ich die Kraft dafür habe. Bis jetzt bin ich noch nicht an dem Punkt angekommen zu sagen „mir reichts“. In keiner Weise.
Das Gespräch führte Kathi Happel
Foto: Jan Kräulte