24. September 2020
Unsere Stellungnahme zum gestern veröffentlichten Positionspapier
Die EU-Kommission hat als Teil ihres vorgeschlagenen Asyl- und Migrationspaktes eine Handlungsempfehlung für den weiteren Umgang mit ziviler Seenotrettung herausgegeben. Diese Empfehlung besteht bezogen auf die privaten Schiffe darin, dass:
-Die Mitgliedsstaaten die Schiffsverkehrssicherheit der NRO-Schiffe gewährleisten sollen
-Die Flaggen- und Küstenanrainerstaaten „regelmäßig und zeitnah Informationen über die an bestimmten Rettungseinsätzen beteiligten Schiffe und über deren Eigentümer und Betreiber austauschen“
-Die zuständigen Behörden „über alle Informationen verfügen, die sie für die Überwachung und Prüfung der Einhaltung der Sicherheitsnormen auf See sowie der einschlägigen Migrationsvorschriften benötigen“
Im Klartext: Die Größe von Abwassertanks oder eine Glühbirne am falschen Platz sind wichtiger als Menschen, die praktisch vor unser aller Augen ertrinken, und zwar jeden verdammten Tag. Die Antwort der EU auf noch immer hundertfaches Sterben im Mittelmeer ist eine grundsätzliche Misstrauenserklärung gegenüber den Akteuren, die seit Jahren die eigentlich der EU zufallende Aufgabe übernehmen – nämlich Leben zu retten. Überwachung, immer höhere Anforderungen und undurchsichtige Gesetzesinitiativen sollen verhindern, dass unsere Schiffe auslaufen.
Wir arbeiten, um Menschen in Seenot die Sicherheit zu bieten, die die EU ihnen verwehrt.
Die Handlungsempfehlung der EU-Kommission ist ein weiterer Baustein an der Festung Europa. Wir versichern der Kommission, dass uns Mauern, Grenzen und Überwachung nicht davon abhalten werden, unsere Pflicht zu tun.
Hier die Begründung der Kommission in Auszügen mit unseren Anmerkungen:
Kursiv zitiert aus der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 23.09.2020: Zur Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten bei Such- und Rettungsaktionen, für die im Eigentum privater Einrichtungen befindliche oder von solchen betriebene Schiffe eingesetzt werden
1) Die Hilfeleistung für in Seenot geratene Personen ist eine rechtliche Verpflichtung der Mitgliedsstaaten […] Dieser Verpflichtung kommt die EU nicht nach. Zahllose Fälle von in Seenot geratenen Booten, deren Notrufe absichtsvoll nicht oder mit massiver Verzögerung beantwortet wurden, insbesondere im zentralen Mittelmeer und hier besonders durch Malta, belegen das.
2) […] die Ursachen der irregulären Migration zu bekämpfen […] Legale, sichere Fluchtwege nach Europa gibt es nicht. Ob ein Mensch Anspruch auf Asyl in der EU hat, darf niemals über sein Leben entscheiden.
3) […] die zentrale Mittelmeerroute ist somit die mörderischste Migrationsroute der Welt. Dennoch hat sich die EU dazu entschlossen, sich vollständig aus Search- and Rescue- Operationen zurückzuziehen.
4) Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben ihre Kapazitäten im Mittelmeerraum ausgebaut […] z.B. die Operationen Themis, Poseidon und Indalo und davor die Operation Sophia Die Kapazitäten der EU für Such- und Rettungseinsätze wurden vollständig zurückgefahren. Auf die tödlichen Konsequenzen wurde die EU mehrfach durch IOM und UNHCR hingewiesen und zur sofortigen Wiederaufnahme derartiger Einsätze aufgefordert, zuletzt im August diesen Jahres aus Anlass des tragischen Todes von mindestens 45 Menschen vor der libyschen Küste.
5) […] muss dafür gesorgt werden, dass diejenigen, die humanitäre Hilfe für Menschen in Seenot leisten, nicht kriminalisiert werden […] Die zahlreichen schwebenden Verfahren gegen Seenotretter*innen, Festsetzungen von Schiffen und Androhungen hoher Bußgelder belegen, dass die Kriminalisierung von ziviler Seenotrettung gängige Praxis in der EU ist.
6) […] forderte das Europäische Parlament größere Kapazitäten für die Suche und Rettung von Menschen in Not und {…] dass die Unterstützung, die von privaten Akteuren und NRO´s geleistet wird, die Rettungsaktionen auf See und an Land durchführen, anerkannt wird Dieser Forderung, die mehr als zwei Jahre zurückliegt, sind nur Taten gefolgt, die das genaue Gegenteil bewirken sollten und bewirkt haben. In diesen 2 Jahren sind nahezu 3000 Menschen im Mittelmeer gestorben oder werden vermisst.
7) Such- und Rettungseinsätze in Notsituationen erfordern Koordinierung und rasche Ausschiffung an einem sicheren Ort sowie die Achtung der Grundrechte der geretteten Personen […] Schiffe, die Personen aus Seenot gerettet haben, müssen seit Jahren oft sehr lange darauf warten, einen Hafen in der EU anlaufen zu dürfen. Diese erzwungenen Wartezeiten können mehrere Wochen dauern und sind für alle Beteiligten äußerst qualvoll. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache und das Zurückführen von Menschen in Folter und Elend in diesem Bürgerkriegsland, die die EU vertraglich festgelegt hat, missachten die Grundrechte der geflohenen Menschen fundamental.
8) In den letzten Jahren hat sich in Europa eine neue Form von Such- und Rettungseinsätzen auf See herausgebildet, bei denen von NRO betriebene Schiffe […] eingesetzt werden. In vielen Fällen führen diese Schiffe mehrere Rettungseinsätze durch, bevor sie die Geretteten an einem sicheren Ort ausschiffen. Seit der Einstellung der staatlich organisierten Seenotrettung im Mittelmeer sind zivile Organisationen die einzig verbliebenen Akteure. Sie nehmen diese Aufgabe wahr, weil die Europäische Union es nicht tut.
9) […] ist unbedingt zu verhindern, dass Schleuser- oder Menschenhändlernetze […] die von privaten Schiffen im Mittelmeer durchgeführten Rettungseinsätze ausnutzen. Die Existenz eines Pull-Faktors durch die bloße Existenz ziviler Seenotrettung ist mehrfach wissenschaftlich widerlegt. Dieser Pull-Effekt wird durch die Kommission hier suggestiv als Fakt versucht wiedereinzuführen.
10) Unter anderem sollten aus Seenot gerettete Asylsuchende und Flüchtlinge, die begründete Furcht vor Verfolgung geltend machen, auf keinen Fall in Gebieten ausgeschifft werden, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind. Genau dies geschieht aber täglich aufgrund der zwischen der EU und Libyen vereinbarten Zusammenarbeit, die daran besteht, die Menschen gewaltsam nach Libyen zurückzubringen. Die EU bezahlt die libysche Küstenwache für diese „Tätigkeit“.
11) Die regelmässige Präsenz von NRO-Schiffen […] erfordert insbesondere eine verstärkte Koordinierung und operative Zusammenarbeit zwischen den Schiffen, die gerettete Personen befördern, und nationalen Behörden […] Insbesondere vor Malta, aber nicht darauf beschränkt, findet eine solche Zusammenarbeit nicht statt, sondern wird im Gegenteil bewusst und absichtsvoll vermieden. Zahlreiche Seenotfälle belegen das nachdrücklich.
12) Private Schiffe, die für Rettungsaktionen im Mittelmeer eingesetzt werden, sind Teil komplexer, oftmals wiederholter Such- und Rettungseinsätze […] Es ist daher im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, dass diese Schiffe ordnungsgemäß registriert und entsprechend ausgerüstet sind […] Die Schiffe der zivilen Seenotrettung agieren von Beginn an in einer Weise, die die Sicherheit der Menschen an Bord gewährleistet. Fälle von nicht ordnungsgemäßer Registrierung oder Einsätzen, die die Gesundheit oder das Leben der Crews der NRO-Schiffe gefährdet haben, sind uns nicht bekannt. Gefahr für Leib und Leben besteht für die Menschen auf der Flucht. NRO-Schiffe sind im Einsatz, um diese Menschen zu retten. Die öffentliche Ordnung ist in diesem Zusammenhang erst wiederhergestellt, wenn Europa den Tod von Menschen an seinen Außengrenzen nicht mehr in Kauf nimmt.
13) Die Küstenmitgliedsstaaten sind aufgrund der fortgesetzten Ausschiffungen geretteter Personen einem […] Druck […] ausgesetzt. Die immense Belastung der Staaten mit EU-Außengrenze ist Folge des gescheiterten Dublin-Systems und nicht ziviler Seenotrettung.
14) […] nahm die Kommission einen „Aktionsplan […]“ an, in dessen Rahmen Italien beauftragt wurde, […] einen Verhaltenskodex für NRO, die Such- und Rettungsaktionen im Mittelmeerraum durchführen, auszuarbeiten. Eine Einigung über diesen Code of Conduct konnte bereits Ende 2017 erreicht werden. Das liegt jetzt bereits drei volle Jahre zurück und eröffnet keine Notwendigkeit zur Veränderung zum jetzigen Zeitpunkt.
15) Trotz der bisherigen Koordinierungsbemühungen […] bedarf es angesichts der Besonderheiten der in den letzten Jahren im Mittelmeer durchgeführten Such- und Rettungsaktionen nach wie vor eines strukturierteren, zuverlässigeren und nachhaltigeren Rahmens […]Ebenso ist es erforderlich, mit den privaten Einrichtungen, die Eigentümer oder Betreiber der Schiffe sind, die für Such- und Rettungsaktionen und die Verbringung geretteter Personen in das Hoheitsgebiet der EU eingesetzt werden, zusammenzuarbeiten; ein solcher Rahmen sollte daher auch darauf abzielen, […] geeignete Informationen über die Tätigkeit und die Verwaltungsstruktur dieser Einrichtungen bereit zu stellen […] Derzeit gibt es nur das Gegenteil von Koordinierungsbemühungen mit ziviler Seenotrettung. Ebenso wenig gibt es eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Die willkürliche Festsetzung von Schiffen oder Suchflugzeugen, die Auferlegung hoher technischer Anforderungen an die Schiffe usw. belegen das eindrücklich. Die Antwort der EU-Kommission besteht offensichtlich primär in der Forderung nach gezielter Überwachung der zivilgesellschaftlichen Akteure in der Seenotrettung.
16) Die Kommission wird eine interdisziplinäre Kontaktgruppe einrichten […] Sie wird regelmäßige Kontakte mit […] insbesondere Frontex und gegebenenfalls Nichtregierungsorganisationen, die Such- und Rettungsaktionen im Mittelmeer durchführen, […] pflegen. Die Einschätzung, ob NRO in die Entscheidungsfindung eingebunden werden, obliegt einer Kontaktgruppe, die sich primär auf Frontex, also die Grenzschutzpolizei, stützen will. Die Kontaktgruppe wird ihre Empfehlungen an die Kommission also im Zweifel nicht unter Einbeziehung des Wissens und der Erfahrungen der Seenotrettungsaktionen erarbeiten. Angesichts des vollständigen Fehlens staatlicher Seenotrettung im Mittelmeer bedeutet das eine nahtlose Fortschreibung der jetzigen Politik.
17) Die Kommission wird die Arbeit der Kontaktgruppe […] gegebenenfalls bei der Ausarbeitung der Europäischen Strategie für Asyl- und Migrationsmanagement […] berücksichtigen. Eine derartige Strategie kann ohne das Einfließen der Erfahrungen von NRO nicht wirksam ausgearbeitet werden, da sich staatliche Akteure an der Rettung nicht nur nicht mehr beteiligen, sondern diese auch massiv behindern, verunmöglichen oder, wie im Falle der libyschen Küstenwache oder der illegalen Pushbacks durch die griechische Küstenwache in der Ägäis, selbst vor Menschenrechtsverletzungen nicht zurückschrecken.
18) Diese Empfehlung lässt die […] Verpflichtungen, die sich aus dem einschlägigen Völkerrecht und dem Unionsrecht ergeben, unberührt. Das Völkerrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention u.v.m. werden durch de EU täglich verletzt. Eine Empfehlung wie die hier vorgestellte ist ohne eine Korrektur dieses Kurses gänzlich wertlos, sie setzt diese Rechtsverletzungen absichtsvoll fort.
Foto: Hermine Poschmann